GKM in der Hansestadt Frankfurt an der Oder
Palma de Mallorca, 7. November 2025, 19:30 | von DiqueIch bin mit der Regionalbahn nach Frankfurt an der Oder gefahren. Nicht wegen Kleist, nicht wegen der Stadt, sondern wegen der Gerhard-Kurt-Müller-Ausstellung. Die meisten seiner Werke haben kein festes Zuhause, in dem man sie regelmäßig besuchen könnte, also ist jede Chance auf eine Ausstellung wie pures Gold.
Ich kenne Frankfurt an der Oder ja so gar nicht (who does?) und bin nur wegen der Ausstellung aus Leipzig her- und danach direkt wieder zurückgefahren. Von den Freuden einer solchen zwei Mal dreistündigen Regionalbahnfahrt später mehr.
Früh bin ich da, das Museum öffnet erst um elf, also schlendere ich pfeifend gen Innenstadt. Vom Bahnhof aus gleich um die Ecke, auf dem Kiliansberg, steht das mir bisher völlig unbekannte Eisenbahner-Gefallenen-Denkmal. Aus einem flachen Sockel ragen drei graue Stelen in die Höhe; obenauf eines dieser schönen Eisenbahnräder mit Flügeln.
Umringt von einer schlichten Mauer, davor ein kleiner begrünter Flecken von Hecken umschlossen. Morgendlicher Nebel hängt im Land und ich denke an den Heiligen Hain des großen Schweizers Arnold Böcklin. Dazu die frische Morgenluft von Frankfurt an der Oder.
Ich bleib nicht lange, steige den Kiliansberg hinab, folge ein paar geschlängelten Straßen und schon trennt mich nur noch eine Hauptstraße vom Kleist-Denkmal. Heinrich von Kleist wurde in Frankfurt an der Oder geboren, das weiß dann wieder jeder. Es ist noch nicht November, beziehungsweise war es noch nicht; ich schreibe diesen Text einige Wochen danach. Es liegen aber keine dreißig Jahre dazwischen so wie bei Patrick Leigh Fermor und »A Time of Gifts«.
Seitdem ist es nun November geworden, eine kleine Herbstschwermut bringt meine Gedanken auf Henriette Vogel und Heinrich von Kleist. Doch als ich Anfang Oktober da stehe, in Frankfurt an der Oder, schießen noch ein paar spätsommerliche Sonnenstrahlen hervor, und der schreckliche Tod bekommt sinnlos romantische Züge.
Ich steh wieder nicht lange herum, im Park, in den späten Sonnenstrahlen, vor Kleist. Und ziehe weiter, hinein in die Innenstadt, zu Markt und Rathaus, und auf dem Weg dorthin erfreue ich mich an den hier von mir nicht erwarteten Hansehäusern. Ich google nach der Verbindung von Frankfurt an der Oder zur Hanse. Das alles innerhalb weniger Minuten, und schon bin ich am Fluss und schaue hinüber nach Polen.
Das Kleist-Museum liegt gleich hier, Alt- und Neubau, und ein Stück den Fluss hinauf steht der Packhof. Dort geht es direkt in die Ausstellung, »Gerhard Kurt Müller und Klassiker der Moderne«. Ausgesprochen froh, dass sich der Teil nach dem »und« auf wenige Stücke beschränkt.
Die Location, ziemlich spektakulär: Man steigt eine Treppe hinauf und hat den Eindruck, sich auf einem riesigen Dachboden zu befinden, mit einem Hauch Industriegebäude. Dazu die weißen Wände, ich denke an »Das Kalkwerk« von Thomas Bernhard. Nun will aber eigentlich niemand an das deprimierende »Kalkwerk« von Bernhard denken, zumindest nicht ich, und los geht es mit den Müller-Gemälden. Es gibt auch Skulpturen und Grafiken, aber ich bin nun mal ein paint boy. Die Gedanken an Bernhard und die furchtbaren Experimente nach der Urbantschitschen Methode an der Konrad im »Kalkwerk« sind schnell verflogen.
Am Treppenaufgang zur Ausstellung hängt bereits ein Stillleben von Gerhard Kurt Müller, eher frühes Werk, aus dem Œuvre herausfallend, Stillleben sind von ihm nicht geläufig. Solche Anomalien sind immer fesselnd, siehe zum Beispiel Vermeer, denkt da wirklich jemand an »Die kleine Straße«?
Nun hängt da dieses eine Bild, das einzige im ersten Stock, für den Rest muss man nach oben, und es ist das einzige Stillleben der Ausstellung (meine ich zumindest) und vielleicht das einzige im Œuvre des Künstlers (das weiß ich nicht). Wir sehen eine runde, geöffnete Dose mit Fisch. Silbrig glänzen die Schuppen, das Metall der Dose schimmert bläulich-matt. Aus welchem Grund auch immer fasziniert mich die gedrängte Anordnung liegender Fische, ob in der Dose oder in der Holzkiste am Mittelmeer.
Das Bild atmet die Siebziger, die Zeit seiner Entstehung, zitiert aber zugleich die Neue Sachlichkeit: die wunderschön in Öl gebannte Fischbüchsigkeit, banal, schön. Wie im »Maelström« von Poe wird man in die Büchsenpracht hineingezogen. Von da direkt weiter ins 17. Jahrhundert, zu Giovan Battista Recco, dem Fischmaler schlechthin.
Ich stehe lange vor dieser geöffneten Fischbüchse, erfreue mich an Motiv und Textur (diese getrockneten Furchen der Ölfarben, ob hier oder bei einem Spitzkragen von Velázquez).
Professor Müller ist leider vor sechs Jahren gestorben. Und ich durchschreite mehrere Male die einzelnen Räume dieses Kalkwerks der Künste in Frankfurt an der Oder.

