100-Seiten-Bücher – Teil 190
Annette von Droste-Hülshoff: »Die Judenbuche« (1842)
München, 30. November 2019, 11:50 | von Josik
Das »Topholz« (S. 34), das Annette von Droste-Hülshoff in ihrer weltberühmten »Judenbuche« erwähnt, haben die schwachmatischen Gebrüder Grimm in ihrem Wörterbuch einfach vergessen. Jedes erdenklich deppertste Zeug steht in diesem grotesk aufgeblähten Quatschwörterbuch drin, zum Beispiel die dereinst von Clemens J. Setz herausgepickten und im »Logbuch Suhrkamp« aufgeführten Begriffe GÜRBEL, SPRENZERLING, SPRÖSEN, WIELICHKEIT, LÜBIG, ZOLPEL, ABERSEL – doch das ungeheuer wichtige TOPHOLZ nicht!
Nun ist natürlich die Frage: Was genau versteht man eigentlich unter Topholz? Ist Topholz etwa superstes Holz, so wie Top-Preise eben sehr gute Preise sind, oder so wie Top-Spieler spitzenmäßige Spieler sind usw.? Ich habe zur Sicherheit bei Gerald nachgefragt, der von Beruf Experte ist für die entlegensten Randgebiete des Allgemeinwissens. Gerald hat das Topholzproblem im Handumdrehen auf eine ebenso simple wie geniale Weise gelöst: Er hat nämlich in einer englischen Übersetzung der »Judenbuche« die entsprechende Topholzstelle nachgeschlagen, und dort steht »brushwood«.
Wenn wir Droste-Hülshoff aus dem Englischen ins Deutsche zurückübersetzen, kommen wir also zu dem Schluss, dass Topholz nichts anderes ist als Reisig. Damit sind wir nun freilich bei einem lexikalischen Vogelabschuss ohnegleichen angelangt, denn Annette von Droste-Hülshoff wird zwar nicht in dem inexistenten Grimm’schen Eintrag zu »Topholz« zitiert, in dem existenten Grimm’schen Eintrag zu »Reisig« hingegen wird sehr wohl aus einem ihrer Gedichte zitiert: »und auf dem baume sasz ein fink, / der schleppte dürres moos und reisig«, und für die ganz Blöden schreiben die Grimms an dieser Stelle dann unfassbarerweise noch direkt dahinter in Klammern: »(zum nestbau)«.
Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westphalen. Mit der »Geschichte eines Algerier-Sklaven« von August von Haxthausen und einem Nachwort von Christian Begemann. Berlin: Insel Verlag 2013. S. 9–75 (= 67 Textseiten).
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