Venezianische Bücher

Düsseldorf, 24. Oktober 2017, 11:16 | von Luisa

Weil ich keine Lust auf die neuen Bücher in Frankfurt hatte, fuhr ich nach Köln ins Wallraf-Richartz-Museum, um alte Bücher und ihre Leser anzuschauen, die Tintoretto 1539 gemalt hat. Das Bild ist ungefähr zwei mal drei Meter groß, man sieht einen tempelmäßigen Raum mit dicken Säulen und einer Treppe in der Mitte und links und rechts von der Treppe lauter in Tücher gehüllte Männer. Einige haben ganz normale Bücher aufgeschlagen, wie sie heute noch existieren, andere halten bloß eine Papierrolle, aber drei Bücher sind so groß und schwer, dass nur der junge Mann rechts es schafft, sein Buch im Sitzen zu lesen, die beiden grau gelockten Männer müssen ihre kolossalen Exemplare auf den Boden legen bzw. gegen ein Podest lehnen. Dadurch wirkt das Geschriebene extrem wichtig, obwohl die Buchstaben bloß wie Kringel und Striche aussehen, unentzifferbar, aber vielleicht soll das Hebräisch sein und Tintoretto fehlte die Geduld, es korrekt abzumalen.

Der Tempel ist nämlich der in Jerusalem, und die Männer, ob sie lesen oder nicht, hören alle einem ziemlich schmächtigen, sehr jungen Mann zu, der auf dem Thron sitzt, zu dem die Treppe hinaufführt. Hinter seinem Kopf flammt es, und klar, das ist der zwölfjährige Jesus, der den Schriftgelehrten erklärt, wie es sich mit Gott usw. verhält, er redet ohne Buch, einfach so, mit geschlossenen Augen und ausgestreckten Händen. Die Schriftgelehrten schauen in den Büchern nach, was sie gegen seine Reden einwenden könnten, das Bild heißt »Disputa«, aber sie finden natürlich nichts.

Der Mann in Gelb vorne rechts am Podest will gerade eine Seite seines Riesenbuchs umdrehen und wendet den Kopf ab, als könne er nicht ertragen, dass da nichts Ebenbürtiges geschrieben steht. Das Gelb aber ist so herrlich, dass man sich überhaupt nicht mehr für Text und Buch interessiert und genau das drückt das Bild aus. In Büchern, und besonders in den umfangreichen und kaum zu schleppenden, steht ja selten das Passende, vor allem wenn es sich um Gott usw. handelt; meist findet man das, was gerade live zu hören und zu sehen ist, viel interessanter, es geht einen einfach mehr an. Die Zuhörer im Tempel haben noch nicht verstanden, dass es besser wäre, die Bücher mal zuzuklappen.

Ehe also die Gutenberg-Galaxis richtig in Fahrt kommt, hat Tintoretto sie schon niedergemalt. Und mindestens zwei Figuren drücken genau das aus: Ganz nah bei dem redenden Jesus sitzt ein Mann in braunem Tuch, mit einem knallroten Hut auf dem Kopf, wie ihn kein Schriftgelehrter jemals tragen würde. Ein richtig warmes, leuchtendes Rot ist das, nicht dieses fade bläuliche Rosa, das später Tintorettos Markenzeichen wurde. Also der Hutträger sitzt und lauscht und sein Hut spaziert einem ohne Worte direkt ins Herz. Die andere Figur ist die einzige Frau auf dem Bild, eine kräftige Magd in dunklem Blaugrün am linken Bildrand. Sie ist unglaublich groß, ihre Hände hängen lässig herab, und woran sie denkt, ist nicht auszumachen, aber bestimmt nicht an Bücher.

Die Größenunterschiede zwischen den Figurengruppen erinnern ein bisschen an Neo Rauch, aber in gut. Das Bild ist sozusagen das Intro zur Ausstellung »Tintoretto«, frisch renoviert und glänzend beleuchtet hängt es unter den großen Lettern des Malernamens. Für diejenigen, die Drama lieben, ist es bestimmt das schönste Stück, obwohl im nächsten Raum noch ein Palma Vecchio zu sehen ist mit zwei Nymphen im Wald, ganz diskret und ganz still.
 

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