Nummernzauber: Autoren ohne Namen

Düsseldorf, 12. Oktober 2011, 20:03 | von Luisa

Die Wiener Literaturzeitung VOLLTEXT, durchaus im Chaos zuhause (dieses Jahr bloß vier Ausgaben statt sechs), präsentiert sich in der gerade erschienenen Nr. 3 ungewohnt systematisch: Die Verfasser der Artikel werden nicht beim Namen genannt, sondern sind streng durchnummeriert. Das liest sich dann so: »Mit offener Blende. Die Verschränkung von Wahrnehmung und Erinnerung in Peter Kurzecks Roman Vorabend. Von Nummer 13.«

Im Editorial erklären Nummer 2 und Nummer 3 (Herausgeber Thomas Keul und Redakteurin Teresa Profanter), warum: »Klingende Namen von AutorInnen – und von Verlagen – steuern unsere Wahrnehmung und Wertschätzung von Texten, kein vernünftiger Mensch wird das gänzlich abstreiten wollen. Wie irritierend stark dieser Namenzauber allerdings wirkt, wird erst sinnfällig, wenn man ihm die Grundlage entzieht, indem man die Namen tilgt.« Die Rezension also als nackter Text, ohne die »Aura« des Verfassernamens.

Schönes Experiment. Aber werden da nicht die falschen Namen getilgt? Gehören die »klingenden Namen« nicht den Buch-Autoren? Oder war das mal und besitzen heute doch eher jene die »Aura«, die in der E-Kultur die Mitspieler casten? Lese ich eine Rezension, weil mich Dietmar Dath interessiert oder weil ich wissen will, was Elmar Krekeler so denkt? Mal so, mal so und keins von beiden, würde ich in schlichter Entschiedenheit sagen. Jedenfalls: Wenige Namen sind es, die selber leuchten, sowohl auf der einen wie auf der anderen Seite, und glücklich jene, denen ihre Sonne scheint, so oder so.

Schon zaubern Nummer 2 und 3 die nächste Überraschung aus dem Hut: »Wir haben die Auswahl der zu besprechenden Titel diesmal nicht selbst besorgt, sondern in die Hände von Schriftstellerinnen und Schriftstellern gelegt, die ohne inhaltliche Einschränkung unsererseits jene Bücher ausgewählt haben, die sie selbst gerade interessieren.«

Und dann wird auch verraten, wo die Namen zu finden sind: nicht in Spiegelschrift oder auf dem Kopf stehend wie in den Heftchen unserer Kindheit, sondern auf www.volltext.net, akkurat aufgelistet mit Viten und Werken. Völlig korrekt also, und so richtig und nötig das ist, ist es ein bisschen enttäuschend wie meistens, wenn Geheimnisse gelüftet werden. Insgeheim hoffte ich doch auf Scheherazade oder den Großen Bösen Wolf.

Hätten eigentlich hauptberufliche Rezensenten diese Medieninstal­lation unterstützt? Hätten sie darauf vertraut, dass der Leser die »Who’s who«-Liste aufrufen wird, oder hätten sie abgewunken wg. Angst vor Umsonst? Ist das Handling von Autoren leichter, sind sie fügsamer, und wenn ja, warum? Oder haben sie einfach mehr Lust zu rezensieren, weil sie es seltener tun, und auch mehr Sinn für das Ausscheren aus Immerzu-und-jede-Literaturbeilage-wieder-Mustern? Und wessen Name verleiht nun wem Glanz? Noch einmal: Wäre es nicht reizvoller, das Verfahren umzukehren? Mal ein Buch zu rezensieren, ohne Titel und Verfasser zu nennen? Ohne die öden Pflichtnummern der Inhaltsangaben und ohne Bezüge zum letzten und vorletzten Werk? Als tänzerisches Nachsinnen und reine Kür für Kritiker? Läse ich gern.
 

3 Reaktionen zu “Nummernzauber: Autoren ohne Namen”

  1. Gregor Keuschnig

    Tatsächlich nimmt ja auch im Feuilletonjournalismus das Markenbranding von Rezensenten immer mehr zu. Als Beschleuniger dieser Entwicklung fungierten schon vor sehr langer Zeit Leute wie Marcel Reich-Ranicki oder Fritz J. Raddatz. Beide längst selbst zu Popstars nicht nur in ihrer selbstreferentiellen Parallelwelt geworden. Dem wahren Leser stört dies kaum, weil ihm in einer Buchbesprechung das Argument interessiert. Ihm ist es ja auch möglich, eine anonyme Rezension im Elke Heidenreich-Stil als solche zu verorten.

    Die entscheidende Frage lautet tatsächlich: Wäre es nicht reizvoller, das Verfahren umzukehren? Mal ein Buch zu rezensieren, ohne Titel und Verfasser zu nennen? Ich hatte dies schon einmal als einen wichtigen Teil eines neuen Modus für den Ingeborg-Bachmann-Preis vorgeschlagen, weil man dort sofort die Hilflosigkeit der Juroren feststellen konnte, wenn sich ein Autor der gängigen Präsentation seiner Person (und Werk) einmal verweigerte.

    Die Kritiker würden sich zieren, anonymisierte Bücher zu besprechen. Ihr Besteck, welches sich zum größten Teil nur noch an Werk und Autobiographie abarbeitet, würde sofort abstumpfen. Sie müssten sich wieder mit dem Geschriebenen auseinandersetzen; ihr Rekurs wäre allenfalls in literarischen Traditionslinien. Es wäre nicht sofort festzustellen, ob ein Autor 26 oder 57 Jahre alt ist, in der DDR aufgewachsen ist oder seit drei Jahren in den USA lebt. Sie wären fast so hilflos wie Schüler, die den Namen Thomas Mann noch nie gehört haben. Die Nichtkönner würden sich sofort durch noch mehr Inhaltsangabe entlarven. Kurz: Es wäre ein Heidenspaß.

  2. Michael Herzog

    Moment, warum soll ich einem Artikel von Nummer 2 soviel Glauben schenken, wie einem Artikel, der „nur“ von Nummer 15 verfasst wurde? Wenn schon bitte komplett neutrale Codes, wie ein kleiner Semacode oder eine eine kryptische ID wie 0X7B.

    Im Ernst – ich finde die Person des Autors schon sehr relevant in meiner Verarbeitung eines Textes. Sehr hilfreich, um den nötigen Kontext herzustellen.

  3. Rainer Rabowski

    Spontan würde ich es genau dazwischen ansiedeln – oder doch jeweils noch extremer als die beiden Vorkommentatoren?

    Ich will schlicht alles von Witold Gombrowicz oder Juan Carlos Onetti wissen – und wenn sie schon mal vorkommen, soll es auch draufstehen, damit ich es bemerken kann!

    Andererseits ertappe ich mich dabei, wie ich immer öfter etwas gar nicht erst anschaue, weil ein Name es verun/ziert, der mich schon mal enttäuschte: Ach, der schon wieder! Oder diese Lyrikmags mit nichts als der ewig stolzen Auflistung derselben kuranten Namen. Nein, danke! Blödes Establishment der mir Vorab-Gewählten, die mir auch noch meine Erwartung dauernd vorformatieren!

    Dann aber das nervige Branding überhaupt – und wieso soll es andauernd den Text „verbrennen“, der, bis er nicht ganz gelesen ist, mir potenziell immer noch das Unerhörte sagen kann? Es ist dieser Supermarkt-Effekt: Bis zur Kasse habe ich unbegrenzten Kredit – könnte aber auch noch jederzeit zum Dieb werden.

    Radikaler aber, und sicher mal eine Zeit hilfreich (und erneuernd und verblüffend wohl auch), was Gregor Keuschnig vorschlägt. Vor allem, weil man einmal sehen würde, aus welchem verdünnten Wasser mittlerweile alles gemischt ist. Und man hätte vielleicht sogar an dem ganzen Genöle herum die Buchmesse wieder (ein bisschen) Spaß!

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