Frühjahrsputz:
Die FAZ und ihre Leserbriefe

Konstanz, 23. Februar 2008, 06:15 | von Marcuccio

Zu den festen Momenten eines jeden Umblätterer-Jahres gehört der Frühjahrsputz. Denn was gibt es Schöneres, als beim lesenden Entsorgen zerfledderter Alt-Feuilletons noch allerletzte Perlen zu bergen. Ich persönlich fröne bei diesem Ritual ja immer ganz gerne der Leserbriefseite der FAZ, also der Seite, die in der F-Zeitung vornehmer als anderswo »Briefe an die Herausgeber« heißt.

Man kann dieser Seite mit den berühmt-berüchtigten Koreferaten der Oberstudienräte und Bundesverwaltungsrichter a. D. nachsagen, was man will. Sie ist manchmal wirklich eine Seite zum Wegschmeißen – was ihre Lektüre gerade beim Wegschmeißen sehr empfiehlt, hehe. Zum Beispiel hier, ich blättere eine F-Zeitung vom 12. Juni 2007 und lasse mich auf der Briefe-Seite von der schönen Headline »Herrenreiter-Mentalität« fangen:

»Vielen Dank für Ihren Artikel Potsdams Spaßbürger (F.A.Z.-Feuilleton vom 24. Mai). Dieser Fall ist, wie Heinrich Wefing treffend aufzeigt, eben leider symptomatisch für dieses Land. An die Herrenreiter-Mentalität nicht weniger Fahrradfahrer hat man sich ja schon gewöhnt, aber ein paar Oasen der Kultur sollen bitte erhalten bleiben.«

Na, nun kommt der Untergang des Abendlandes schon auf dem Drahtesel angefahren, denke ich mir noch, und blättere weiter. Bis ich ein paar Wochenstapel später, nämlich in der F-Zeitung vom 16. Juli 2007, schon wieder bei den Briefen an die Herausgeber hängen bleibe. Diesmal ist »Desavouiert« der Teaser – ein hübsches, schönes Bildungsbürgerwörtchen, das man auch nicht alle Tage zu lesen bekommt. Und dann steht da das:

»In seiner Zuschrift vom 12. Juni beschwert sich Leser Müller über die ›Herrenreiter-Mentalität‹, soll wohl heißen, das Verkehr und Natur gefährdende Rauditum von Radfahrern, besonders Mountainbikern. Ja, wenn diese sich doch wie Herrenreiter verhielten, dann würden sie in jeder Lage ihr Gefährt beherrschen, sich an Radwege halten und nicht auf Schnellstraßen fahren, nicht querfeldein über Saatfelder oder Lichtungen im Wald radeln. Die Begriffe ›Herrenreiter-Mentalität‹ und ›Gutsherrenart‹ werden heute von Leuten zur Bezeichnung rücksichtslosen autoritären Verhaltens gebraucht, die weder einen sein Pferd feinfühlig beherrschenden echten Herrenreiter noch einen stetig um seinen Betrieb besorgten Gutsbesitzer jemals kennengelernt haben. (…) Als Mann, der über 65 Jahre in Ehren korrekt im Sattel sitzt, fühle ich mich durch Leser Müller desavouiert.«

Leserbriefe, die auf andere Leserbriefe reagieren, ein echtes Schatten-Genre. Und wohl nur in der F-Zeitung kann sich eine Zuschrift an einem 16. Julei mit der natürlichsten Selbstverständlichkeit auf eine durch ein Kompositum ausgelöste Desavouierung vom 12. Juno beziehen. Das zeigt mal wieder die wahren Zeitläufe dieser Zeitung: Sie ist eben auch nach mehr als einem Monat noch frisch.

Womöglich, denkt sich der Umblätterer beim Frühjahrsputz, begreift man diese Zeitung überhaupt erst im Abtrag eines Jahres. Dazu muss sie dann natürlich möglichst lückenlos archiviert sein (von daher darf man nicht zu oft mit der FAZ-Abbesteller-Szene sympathisiert haben und sollte seine F-Zeitung auch immer gut vor San Andreas in der Bahn verteidigen, hehe).

Denn wer weiß, wieviele Briefe an die Herausgeber übers Jahr noch so miteinander kommunizieren? Die geheimen Leser-Netzwerke in der Offline-Blogosphäre der FAZ, das wäre doch mal eine schöne Plotstruktur für die nächste Staffel dieses Buches. Und ist für mich schon jetzt ein Ansporn zum nächsten Frühjahrsputz.

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