Schirrmacher trickst

Leipzig, 9. Juli 2007, 16:07 | von Paco

Wie jeder normale Mensch liest auch Dique jeden Sonntag die FAS und hat das auch gestern getan, aber gerade mailte er, dass er »noch nicht fertig« sei. Deswegen übernehme ich jetzt schnell unser fast montägliches FAS-Watchblog.

Ich kam gestern am frühen Nachmittag vom Hbf., wo ich die Sonntagszeitung gerade erstanden hatte. Im Gehen liest man ungenauer und langsamer, und deswegen war ich erst am Museum auf dem Sachsenplatz, als mich die Pointe des Aufmacher-Artikels des Feuilletons viel zu spät traf, genau in der Mitte des Textes.

Ich stolperte ins Gras und las dort den Rest. Der Artikel stammte vom »alten Schirrmacher« (M. Matussek) persönlich, war mit »Die unmögliche Mission« betitelt und handelte natürlich vom »Valkyrie«-Filmprojekt, bei dem Scientology-Cruise die Hauptrolle spielen wird.

Obwohl die halbe Seite 23 das berüchtigte s/w-Foto mit dem abgewandten Stefan George und den beiden Stauffenberg-Brüdern zierte, hatte ich keine Sekunde an den George-Kreis gedacht. Schirrmachers Trick funktionierte bei mir sehr gut: Er beschreibt Fama und Praktiken des Stefan-George-Schwärmer-Vereins, ohne ihn namentlich zu erwähnen. Die Worte waren so gewählt, dass jeder natürlich sofort an Scientology dachte, es wurde fast schon langweilig, und dann:

»So stehen die Dinge, und so stehen sie nicht gut. Aber hier ist nicht die Rede von Tom Cruise, sondern von Claus Graf Schenk von Stauffenberg, und nicht von Scientology, sondern vom George-Kreis, von jenem Milieu also, dem Stauffenberg seine entscheidende Prägung verdankte.«

Der angestrengte Vergleich ist so gewagt wie eine Übersetzung von »Finnegans Wake« ins Althebräische, das sagt der Autor so ähnlich auch selber, aber das ist auch mal sehr gut und thematisiert schön, dass bei dieser derzeitigen Diskussion alle immer über Cruise‘ Sekte reden, als ob es wirklich darum ginge. Das Ganze stützt natürlich auch die bisherige Linie der FAZ-Berichterstattung (Donnersmarck am Dienstag, Wefing am Mittwoch und in der FAS jetzt auch Körte, mit einem schönen Gesamtblick auf Cruise‘ andere Militärfilme, S. 25.)

Nun war ich nach Schirrmachers Trick dermaßen misstrauisch geworden, dass ich für den Rest der FAS fast doppelt so viel Zeit benötigte wie gewöhnlich, denn überall argwöhnte ich den nächsten stilistischen Kniff und wollte sowas auf keinen Fall noch mal auf den Leim gehen.

Bei dem Artikel zum Harry-Potter-Film Nr. 5, geschrieben von Mathias Hoffmann, vermutete ich dann auch sofort einen ähnlichen Effekt. M. H. gelingt es, nach so vielen Jahren und bei soviel beklopptem Hype das Genre der Harry-Potter-Berichterstattung aufzulockern. Er beschreibt die Genese der Buch- und der Filmserie, als ob es sie nicht bereits gäbe. Am Ende, nach dem ganzen Beschreibungsfleiß, folgt dann die Schirrmacher-artige Pointe:

»Und dieser Junge, Sie haben es sicher schon erraten, da er ein zweifelnder Waise ist, heißt: Hamlet.«

Good golly! Das stimmt doch gar nicht! Nichts passt zu Hamlet in dem Bericht, GAR NICHTS, ich stand kurz vor dem Zerreißen der Seite, aber dann wird im letzten Absatz der Effekt zurückgenommen, es handelt sich um Harry Potter, natürlich um Harry Potter. Ein Gähnen setzt ein, aber der Autor hat das Kunststück vollbracht, dass das eben erst am Ende des Artikels passiert.

Und weiter.

Eine Reaktion zu “Schirrmacher trickst”

  1. sprechblasenblog » Blog Archive » ...et pereat mundus

    […] oder gar unmöglich macht. Adrian Kreye wirft die Frage unpassenderweise im Kontext der Story eines Scientologen auf, dem eine Drehgenehmigung im Bendlerblock verwehrt wird. Aber wir können ja einen passenderen […]

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