Interview mit Moritz von Uslar zu Meldungen aus dem Wald (MadW)

Frankfurt/M., Zürich, 26. Juni 2025, 08:47 | von Charlemagne

Der Umblätterer: Gar nicht einfach, in so ein Interview reinzufinden, daher vorneweg erstmal ganz locker: Wie geht’s Dir gerade, Moritz, und wo beantwortest Du diese Fragen?

Moritz von Uslar: Es geht: entsetzlich gut. Danke der Nachfrage. Sitze hinter geschlossenen Rollläden in Zürich-Seefeld. Draußen 32 Grad.

Der Umblätterer: Seit gut einem Jahr schreibst Du Deine Meldungen aus dem Wald. Fränkischer Alltag zwischen Borkenkäfer und Schützenverein. Wie bist Du da drauf gekommen, in den Wald zu gehen und für alle mitzuschreiben?

Moritz von Uslar: Ich denke ja, schon immer: Ideen werden überschätzt. Die wichtigen Dinge liegen logisch vor einem, praktisch unter dem Niveau des viel gesuchten guten Einfalls. Man muss nur zugreifen, sagen, was ist (Rudolf Augstein). Ich bin im Wald, ich möchte warm bleiben im Prozess des Schreibens, ich bin so weit von allem weg, dass sich das Beschreiben des Alltags wie Meldungen vom Mond anfühlt – ich schreibe also, folglich: Meldungen aus dem Wald.

Der Umblätterer: Du kannst deine Texte jetzt einfach raushauen, ohne Abgabetermine und Lektorat: angenehm easy oder fehlt Dir da jetzt was? Stichwort: Produktionsphantomschmerz?

Moritz von Uslar: Abgabetermine sind pervers und gleichzeitig gut und eben produktiv, genau – ich könnte Romane darüber verfassen, wie der böse Druck des Abgabetermins viel verhindert hat und gleichzeitig, eben oft unter Schmerzen, dabei hilft, Widerstände zu überwinden und überhaupt in den ersten Absatz hineinzufinden. Nach 35 Jahren Journalismus und Nahkampf mit dem Abgabetermin, bin ich derzeit offengestanden einfach nur froh darüber, dass es und wie gut es auch ohne äußeren Druck geht.

Der Umblätterer: Ganz egal, ob Du dich aus dem Flixbus, Berlin Mitte oder Tennessee meldest, man erkennt dich immer sofort wieder. Größtes Talent: einfach drauflosschreiben und wissen, der SOUND wird’s schon richten?

Moritz von Uslar: Interessant, früher, also bis in meine Zeit beim SZ-Magazin hinein (Neunzigerjahre), hätte ich gesagt: Es braucht nur Sound, was soll es sonst geben außer den Rhythmus, die Musikalität der Worte, etwas anderes trägt eh nicht. Heute, wo mir ein von Ihnen zitierter Sound attestiert wird und offenbar zur Verfügung steht, denke ich: Gäbe es eventuell auch wirklich etwas zu sagen? WAS will ich sagen? Für was wollen wir das ausnutzen, dass da Leute, die Leserinnen und Leser, für einen Moment bereit sind, dem Text zu folgen? Beim Tippen der Meldungen habe ich zuletzt wieder gemerkt, und es war ein schönes Gefühl, ich genieße das gerade sehr: Ich lasse mich gerne wegtragen, ich mag das, wenn dem Text der Wind in die Segel bläst und the boat einen Ruck nach vorne tut.

Der Umblätterer: Was ist das überhaupt, SOUND? Und: geht’s auch ohne?

Moritz von Uslar: Sicher geht es auch ohne. Aber ich würde sagen: Das Hirn anheizen, den Körper in Bewegung bringen, dancing to the music of words, das geht eben nur über Rhythmus, das geht nur über Musikalität.

Der Umblätterer: Welche Rolle spielt POP heutzutage? Was kann uns POP in unserer aktuellen Gegenwart noch sagen?

Moritz von Uslar: Ich verstehe die Frage nicht. Und zitiere dabei meinen Freund DJ Hell, dem nach jede Frage mit den immer selben drei Sprachfiguren beantwortet werden kann. Figur eins: Zu Recht. Figur zwei: Ich habe ein gutes Gefühl. Figur drei: Ich verstehe die Frage nicht. Die Antworten sind natürlich allesamt Zitate vom Fußball-Spielfeldrand, wo Sprechen unter enormem Effizienz- und Zeitdruck und in tosend lauter Geräuschkulisse stattfindet und der genervte Fußballprofi dem Reporter Frage und Antwort stehen muss.

Der Umblätterer: Letzte Woche hast Du deinen Abschied bei der Zeit gegeben. Im Gespräch mit Rainald Goetz (»Chateau Royal« in wrong, 2024, S. 331–359) hattest Du Deine Pause bereits angedeutet, vielleicht auch eine längere. War’s das jetzt mit dem Feuilleton für Dich?

Moritz von Uslar: Ich denke: Ja, das war es für mich erstmal mit dem Für-das-Feuilleton-der-Zeit-Schreiben. Mit dem Feuilleton – als Art des Denkens, Herangehens an Themen, Text und die vielen Unterthemen und Randthemen des Lebens – war es das natürlich nicht. Feuilleton ist für mich: von etwas Kleinem kommend ins Größere hineindenken. Fürs Feuilleton gilt auch: Kein Thema ist zu klein.

Der Umblätterer: Überhaupt, warum ist das Feuilleton mittlerweile so langweilig (sorry, sorry)?

Moritz von Uslar: Ist das nicht selbst ein wohlfeiler, schon tausend Mal gehörter und maximal uninspirierter Satz, die Klage über das angeblich langweilige Feuilleton? Gegenfrage: Welches Feuilleton ist gerade besonders langweilig, das der SZ, das der FAZ oder doch das der NZZ, wo ein gut aussehender, smarter 35-Jähriger neuerdings das Feuilleton leitet? (Sorry, der gut aussehende NZZ-Feuilletonchef beruht auf einer unsicheren Faktenlage, das gebe ich gerne zu, aber so etwas Ähnliches, unmittelbar gute Laune Machendes kam mir jüngst zu Ohren). Ich habe noch nie ein Feuilleton in der Hand gehalten, in dem nicht wenigstens ein interessanter Text stand, meistens waren es zweieinhalb lesenswerte Texte. Und, nicht zu unterschätzen: Auch die gescheiterten, uninspirierten, dahingeschlampten Feuilletons sind auf eine Art natürlich interessant. Auf der Basis, dass das Hirn lesend das ersetzt, was fehlt, bzw. gegen schwache Gedanken anzudenken versucht. Stimmt nicht? Noch mal alles anders? Okay.

Der Umblätterer: Fränkischer so called Alltag, Lob der Gartenarbeit, ein frühes Bier: sieht so das Glück aus?

Moritz von Uslar: Keine Ahnung. Fuck Glück.

Der Umblätterer: Und jetzt, lieber Moritz? What’s next?

Moritz von Uslar: Ich würde sagen erstmal: weiter machen. Mein Hauswart am Mehringdamm in Berlin-Kreuzberg – namentlich Harald Seewald, ein sehr guter Mann – sagte das immer zum Abschied nach Telefonaten, stets Handwerker-mäßig sehr kurz und sachlich und effizient gehalten, er hatte ja keinen Bock auf reden. Die Telefonate gingen immer los mit: »Watt will er?«, geil berlinerisch rausgeschnauzt. Und endeten mit: »Weitermachen, Moritz, weiiiiiiitermachen.« Mir hat das immer sehr eingeleuchtet. Und, in den Tag hinein, einen schönen Schwung mitgegeben.

Der Umblätterer: Zum Schluss noch die wirklich wichtigen Fragen. Dein liebstes fränkisches Wort?

Moritz von Uslar: Da gibt es: waafen. Heißt so viel wie: plaudern, fröhlichen Unsinn miteinander reden. Aber das Wort erklärt sich lautmalerisch ja ganz von selbst.

Der Umblätterer: Das beste fränkische Bier?

Moritz von Uslar: Das ist ja wurscht. Es gibt ja etwa 600 gute fränkische Biere, jedes 200-Seelen-Dorf in Oberfranken hat sein eigenes Bier, eins köstlicher als das andere. Die bayerischen Biere sind ein Witz gegen die fränkischen, das weiß ja auch jeder.

Der Umblätterer: Der größte lebende Franke?

Moritz von Uslar: Da würde ich sagen: Größe und Franke, das schließt sich – auf eine maximal wohltuende Art – gegenseitig aus.
 

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