»Lehman Brothers«

München, 12. Februar 2017, 23:05 | von Josik

Nach Regensburg! Nach Regensburg! Die gesamte Regensburger Politprominenz befindet sich gerade in Untersuchungshaft, was Jonesy und ich zum Anlass nahmen, mal nach Regensburg zu fahren, und außerdem hatten wir ja auch Karten für die Premiere von Stefano Massinis Stück »Lehman Brothers« am vorvergangenen Samstag im Regensburger Velodrom.

Mithilfe des sogenannten Servus-Tickets zuckelten wir also nach Regensburg, wobei ich mir als Zug- und Zuckellektüre »Das Rote Rad« von Alexander Solschenizyn, genauer gesagt, den ersten Teil von »März siebzehn« eingepackt hatte. Die ersten paar tausend Seiten des »Roten Rads« hatten mich ja ein bisschen gelangweilt, aber mittlerweile war ich eben bei den Mittagsstunden des 12. März 1917 angelangt und es wurde bereits wahnsinnig viel geballert, und ich wusste ja, dass heute abend, am 12. März 1917, also schon in wenigen hundert Seiten, ganz Petrograd in den Händen der Aufständischen sein würde, die Zeit verging jetzt also wie im, hehe, Zug.

Eine Spannung ganz eigener Art, denn natürlich ist es ja immer noch ein historischer Roman, und die Spannung war, versteht sich, nicht der Art, dass ich fieberte, ob der Zar am Ende es vielleicht doch noch irgendwie schaffen wird, vielmehr schildert Solschenizyn an diesem 12. März einfach sehr viel Geballer, und es war irgendwie geil, von diesem Geballer zu lesen, es war nun wie ein Ballerfilm, nur eben in Form von Literatur.

In Regensburg angekommen, war ich dann ungefähr eine Sekunde lang erstaunt, dass die Stadt so friedlich dalag, bis mir klar wurde, dass hier ja grade keine Revolution im Gange war, sondern das genaue Gegenteil von Revolution, nämlich real life. Auf dem Weg zu unseren Regensburger Stadtführern kamen wir dann auch gleich am Schloss vorbei, Fürstin Glorias mutmaßlichem Erstwohnsitz, und es war doch ein ziemlicher Schock zu erfahren, dass man als gemeiner Pöbel das Schloss gar nicht von vorne sehen kann.

Nun waren es immer noch ein paar Stunden, bis das Theaterstück losging, also starteten unsere Stadtführer ihre kleine Stadtführung, und als erste Sehenswürdigkeit wurde uns überraschenderweise das Haus gezeigt, in dem Bischof Tebartz-van Elst wohnt. Ich meinte mich dunkel erinnern zu können, irgendwo gelesen zu haben, dass Tebartz-van Elst in den Vatikan abgeschoben wurde und dort nun den Posten eines Aushilfsvorbeters oder sowas bekleidet, aber dass Tebartz-van Elst nunmehro auch in Regensburg residiert, war bisher irgendwie an mir vorbeigerauscht.

Punkt 2 der Stadtführung stand eigentlich nicht auf der Liste, aber als wir an einem sehr stylishen Waschsalon Obermünsterstraße Ecke Soundsostraße vorbeiliefen, hörten und sahen wir, dass innen im Waschsalon, mitten im Raum, eine Cellistin ein Stück probte! Wir überschlugen uns vor Begeisterung und wiesen auf diesen Anblick auch einige Umstehende hin, die wir für Eingeborene hielten und die wir fragten, ob es in Regensburg denn ganz normal ist, dass an einem frühen Samstagabend mitten in einem sehr stylishen Waschsalon eine Cellistin ein Stück probt. Die Antwort war: Nein.

Unsere Stadtführer schlugen nun vor, dass wir das Abendessen in einem kurdischen Lokal namens »Schwedenkugel« einnehmen sollten, leider war dieses Restaurant aber zu weit weg und deswegen war nicht mehr genug Zeit, dorthin zu laufen, denn das Theaterstück ging ja bald los, aber essen wollten wir vorher unbedingt noch was, und so gingen wir eben in die Spaghetteria, vor der wir zufällig gerade standen, und bestellten das sogenannte Nudelabenteuer. Auf der Speisetafel stand auch folgender toller Satz: »Akademisches Nudelabenteuer – nur montags außer feiertags«.

Im Lokal befanden sich jedenfalls außergewöhnlich viele Hunde, darunter auch ein Shiba Inu, während wir doch eigentlich nur in Ruhe ein paar Spaghetti verspeisen wollten. Danach sprinteten wir zum Velodrom, nun ging endlich das Stück los! Aber ach, eine Frau in Reihe 17 bekam einen entsetzlichen Schluckauf. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, wie die Leute sich zu der Frau in Reihe 17 umdrehten, und man konnte sich wohl ausrechnen, dass sie ihr böse Blicke zuwarfen, aber diese Böseblickezuwerferei war natürlich völlig sinnlos, denn es war ja klar, dass die arme Frau in Reihe 17 gar nichts für ihren Schluckauf konnte, und wenn sie rausgegangen wäre, hätte sie ja noch viel mehr Unruhe in den Reihen verursacht, also konnte sie im Prinzip ja nur sitzenbleiben und warten, bis ihr Schluckauf vorbeiging, was nun zwar auch keine besonders tolle Alternative war, aber in Anbetracht aller anderen Möglichkeiten doch eigentlich immer noch die beste.

So richtig konzentrieren auf das Bühnengeschehen konnte man sich während dieses nicht enden wollenden Schluckaufs aber auch nicht, ich versuchte es trotzdem, ich versuchte mir irgendwie einzureden, dass dieser Schluckauf einfach Teil der supersten Bühnenmusik des supersten Thies Mynther sei, ich stellte mir vor, dass Thies Mynther hier krasse Schluckaufsounds designt hatte, aber so ganz gelang mir die Illusion nicht, denn die Bühnenmusik kam ja nun mal von vorne und von der Seite, der Schluckauf aber kam eindeutig von hinten. Kurz nachdem der Schluckauf der Frau in Reihe 17 zu Ende war, war plötzlich auch das Stück zu Ende, jetzt wäre es natürlich egal gewesen, jetzt hätte die Frau in Reihe 17 ruhig weiter ihren Schluckauf vor sich hin hicksen können, denn in dem tobenden Applaus, der nun einsetzte und noch lange nicht abebbte, hätte man diesen Schluckauf ja ohnehin nicht mehr gehört.

Als der Applaus dann doch irgendwann abebbte, gingen wir noch auf die Premierenparty im ersten Stock, und da sahen wir, wie sich am Buffet grade Ulrich Matthes, der Ulrich Matthes, zu schaffen machte. Also konnten die Regensburger doch einen Prominenten auftreiben, der nicht in Untersuchungshaft war. Ich ging dann zum Regisseur, von dem ich wusste, dass er juristisch beschlagen ist, und gab ihm als Premierengeschenk Professor Wolfgang Schilds kleine Broschüre »Verwirrende Rechtsbelehrung. Zu Ferdinand von Schirachs ›Terror‹«, die ich extra mitgenommen hatte und die Professor Heribert Prantl vor einiger Zeit in der S-Zeitung so überschwenglich gelobt hatte und auf die auch der aus dem vorletzten »Spiegel« bekannte Professor Thomas Fischer schon einmal öffentlich Bezug genommen hat.

Am nächsten Morgen beim Frühstück im Café Lila sahen wir sogar wieder Leute, die wir auch im Theater gesehen hatten. Am Tresen im Café Lila lungerten zwei junge Männer Anfang zwanzig herum und soffen schon um halb zehn Uhr morgens ihr Bier, und während Junger Mann 1 auf Toilette war, kippte Junger Mann 2 in das Bierglas von Junger Mann 1 etwas Salz. Als Junger Mann 1 aber wieder zurückkam und sein Bier weitertrank, merkte er nicht mal, dass es gesalzen war. Der Streich ging nach hinten los, alles blieb völlig friedlich, und deswegen hatte ich dann bei der Rückfahrt auch keine rechte Lust, Solschenizyns Revolutionsepos weiterzulesen, sondern vertiefte mich in die Lektüre der aktuellen Ausgabe (No. 169 – Februar 2017) des irgendwo rumgelegen habenden und von uns mitgenommenen Regensburger Stadtmagazins »filter«. Klar, wenn das Wiener Stadtmagazin »falter« heißt, wieso sollte sich dann das Regensburger Stadtmagazin nicht »filter« nennen. Auf Seite 46 war den Redakteuren aber irgendwie was verrutscht, denn dort stand und steht folgendes, ich zitiere in voller Länge:

»04.02.
›Lehman Brothers – Aufstieg und Fall einer Dynastie‹.
Die ultimative Stammgast-Party. Von 21 bis 23 Uhr heißt es ›friends only‹ – alle offenen Getränke gibt es for free. Wie das klappt? Sichere dir jetzt deinen Platz auf der Gästeliste. Frag einfach bei dem/der BEATS-Baarkeper/in deines Vertrauens nach.
Wann: 19.30 Uhr.
Wo: Velodrom.«

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