Archiv des Themenkreises ›Tagesspiegel‹


Die Ergebnisse der …
Feuilleton-Meisterschaft 2021

München, 11. Januar 2022, 06:00 | von Josik

Wer hätte das gedacht, nach einer langjährigen Pause verleihen wir heute zum *dreizehnten* Mal seit 2005 den Goldenen Maulwurf, für den Feuilleton­jahrgang 2021:

Der 13. Goldene Maulwurf

Wie jedes Jahr war die Konkurrenz so stark wie seit Jahren nicht. Das deutschsprachige Feuilleton des gerade abgelaufenen Jahres 2021 war wieder voller Geistesblitze und Bramarbasse, es war voller Sturm und – auch nicht zu vergessen – voller Drang und es regnete herrlichste Artikel. Apropos Feuilleton und apropos deutschsprachig – wie schrieb Diedrich Diederichsen im Septemberheft des natürlich nicht mit dem »Münchner Merkur« zu verwechselnden Berliner »Merkur«:

»Anders als in den meisten Kulturen der Welt sind es nicht soziale Medien, universitäre Debatten oder offen politisch geführte Auseinandersetzungen, die das Medium der Deutschsprachigen und ihrer Streits ausmachen. Es ist das, was nur noch in ihrer Kultur einen hohen Wert und gesellschaftlichen Einfluss hat, das Feuilleton. In diesem haben bestimmte Männer das Sagen, die gern im Genre des Machtworts etwas zurechtrücken.«

Dieser letzte Satz stimmt wahrscheinlich, obwohl wir ihn natürlich für falsch halten. Aber dass Feuilleton, wie Diederichsen schreibt, ein Medium ist, wenigstens das ist zweifellos richtig. – – –

So oder so ähnlich klangen viele Jahre lang die Vorworte zum Goldenen Maulwurf. Der Golden Mole war ein Preis für die angeblich™ besten Feuilletontexte des Jahres, der immer am zweiten Januardienstag verliehen wurde, damals, als es noch Leute gab, die (nicht als Investoren, sondern am Kiosk) Zeitungen gekauft haben. Ja, und es ist nun über ein halbes Jahrzehnt her, dass wir zum ersten Mal zum letzten Mal den Goldenen Maulwurf verliehen haben. Und tatsächlich ist der Goldene Maulwurf Geschichte. Allerdings war es unabdingbar herauszufinden, welche Schreiberlinge diesen Preis gewonnen hätten, wenn es ihn noch gäbe.

Und daher sind jetzt alle extremst herzlich eingeladen, auf die Gewinnerlinge des Goldenen Maulwurfs 2021 zu klicken:

1. Clemens Setz (SZ)
2. Marlene Streeruwitz (Standard) / Benedict Neff (NZZ)
3. Fabian Wolff (Time) / Maxim Biller (Zeit)
4. Jérôme Buske (Jungle World)
5. Mareike Nieberding (SZ-Magazin)
6. Elfriede Jelinek (junge Welt) / Peter Handke (FAZ)
7. Gregor Dotzauer (Tagesspiegel)
8. Michael Maar/Sebastian Hammelehle/Claudia Voigt (Spiegel)
9. Erik Zielke (nd)
10. Peter Richter (SZ)

Besonders interessant ist ja, dass das Feuilleton des Jahres 2021 vor allem auch ein Feuilleton der Literat*innen war. Daraus kann man schließen, dass das Feuilleton und die Literatur mittlerweile die genau gleiche gesamtgesellschaft­liche Bedeutung haben, zwar nicht unbedingt im Diederichsen’schen Sinne, aber doch in irgendeinem anderen.

Übrigens war die Auswahl dieses Mal außerordentlich schwierig, da auf der Longlist einundfünfzig (51) Texte standen: Mit anderen Worten, nie zuvor war unsere Longlist so long.

So long,
Euer Consortium Feuilletonorum Insaniaeque

 

p.s. Diese ist die regulär 13. Ausgabe des Goldenen Maulwurfs. Die 12. Aus­gabe, unsere Preisverleihung für das Feuilletonjahr 2016, wurde leider Anfang Januar 2017 aus Zeitgründen gekippt. Wir haben die Ergebnisse aber (allerdings ohne Laudationes) im Oktober 2021 nachgereicht. Da die 2016er Preisverleihung nun gleichzeitig stattgefunden und nicht stattgefunden hat, wird sie von uns intern als Schrödingers Maulwurf bezeichnet. Na jedenfalls herzlichen Glückwunsch, Danilo Scholz, der demgemäß unser 12. Preisträger ist.

p.p.s. Die ausgebliebenen Preisverleihungen für die Jahre 2017 bis 2020 sind so zu erklären, dass wir eine längere Feuilletonpause eingelegt haben.

 


Lyrik gegen Medien!

Berlin, 18. Juli 2014, 09:21 | von Josik

Der Endreim ist in der Bevölkerung weit verbreitet. Die »Süddeutsche« und andere seriöse Zeitungen kolportieren derzeit ein Gedicht, das u. a. die folgenden Strophen enthält (Schreibweise behutsam verändert):

»FAZ« und »Tagesspiegel«?
Lieber kauf’ ich mir ’nen Igel!

»Taz« und »Rundschau«, ARD?
Hm, Moment, ich sage: Nee!

»Bild« oder »SZ« genehm?
Wie spät *ist* es? Ich muss geh’n!

Der Daumen, der nach unten zeigt,
der trifft bei mir auf Heiterkeit.

Viele andere Medien dürften sich aufgrund der Tatsache, dass sie in diesem Gedicht gar nicht erst erwähnt werden, erheblich düpiert fühlen. Um die Gefühle dieser Medien nicht zu verletzen, wird das Gedicht im folgenden lose weitergereimt.

»Mopo«, »Emma« und »Die Zeit«?
Hört gut zu, ich bin euch leid!

»Isvéstija« und »Kommersánt«?
Haltet einfach mal den Rand!

»Kronen Zeitung«, »Standard«, »Presse«?
Haltet einfach mal die Fresse!

»Tagi«, »Blick« und »NZZ«?
Früher wart ihr einmal phatt!

»Guardian« und »New York Times«?
Ihr vermiest mir voll die rhymes!

»Super Illu«, »Bunte«, »Gala«?
Für euch zahl’ ich nicht einen Taler!

»Börsen-Zeitung«, »Handelsblatt«?
Euch mach’ ich doch locker platt!

»Merkur«, »Lettre«, »Cicero«?
Euch spül’ ich sofort ins Klo!

Auch der Hokuspokus-»Focus«
liegt aus Jokus auf dem Locus!

»Junge Welt« und alte »Welt«?
Widewitt, wie’s euch gefällt!

ORF und ATV?
Euch Wappler mach’ ich jetzt zur Sau!

RTL und auch ProSieben
kann man sonstwohin sich schieben.

Mach’ es wie die Eieruhr:
Zähle die Minuten nur!

Und nun: Schafft zwei, drei, viele weitere Strophen!
 


100-Seiten-Bücher – Teil 111
Wsewolod Petrow: »Die Manon Lescaut von Turdej« (1946/2006)

Düsseldorf, 27. April 2014, 10:20 | von Luisa

Ja, dieses herrliche Hin und Her nimmt kein Ende. Pasternak kam zum Studium nach Marburg und übersetzte Rilke, Rilke pilgerte nach Jasnaja Polnaja zu Tolstoi, Thomas Mann schrieb »Goethe und Tolstoi«. Als »Doktor Schiwago« Deutschland erreichte, erschien sofort eine »Schiwago«-Hymne von Friedrich Sieburg in der FAZ: »Es ist ein russischer Pilger, der zu uns kommt«, und seit kurzem pilgern nun die Romane von Gaito Gasdanow zu uns, und eine weitere junge Pilgerin, jedenfalls als deutsche Übersetzung, ist Wsewolod Petrows Erzählung »Die Manon Lescaut von Turdej«, um hier bei uns aus vollem Herzen usw. Volles Herz: russisch-deutsche Spezialität.

Aus dem Grab bzw. der Schublade heraus pilgerte sie jedenfalls direkt in den Erfolg, obwohl ihr Autor lange tot ist und sie selbst eine Fast-Siebzigerin, da 1946 als Manuskript geboren, und eigentlich kam sie auch nicht zu Fuß, sondern mit der Bahn. Denn die Geschichte spielt hauptsächlich in einem Sanitätszug, der Ärzte und Krankenschwestern kreuz und quer durch die Sowjetunion befördert, darunter den Ich-Erzähler, einen Arzt, und eben Manon, eine Krankenschwester, die mit richtigem Namen Vera heißt.

Schon der Titel verspricht schöne Intertextualität, Puccinis Oper klingt im Ohr, und außerdem liest der Arzt Goethes berühmten Briefroman, was die Erwartung verstärkt, dass der Tod am Ende seine traurige Melodie dazu fidelt, schließlich herrscht gerade Zweiter Weltkrieg.

Damals wussten vielleicht alle, was der Erzähler meint, wenn er Vera nicht Vera, sondern »meine Manon« nennt. Die letzte Kinoversion des Prévost-Longsellers erklärte es in der deutschen Fassung sicherheits­halber schon im Titel: »Hemmungslose Manon». »Es fährt ein Zug nach Nirgendwo« ist aber auch nicht schlecht.

Länge des Buches: > 115.000 Zeichen. – Ausgaben:

Wsewolod Petrow: Die Manon Lescaut von Turdej. Aus dem Russischen von Daniel Jurjew. Stellenkommentar von Olga Martynova. Nachwort von Oleg Jurjew. Bonn: Weidle 2012.

(Einführung ins 100-Seiten-Projekt hier. Übersicht über alle Bände hier.)


Die Welt als Schopenhauer und Überschrift

Konstanz, 25. August 2010, 18:44 | von Marcuccio

Gabriel ist mir im Traum erschienen, der hier schon öfters erwähnte Überschriftenerfinder. Und zwar in Form von Christoph Poschenrieder, der Überschriften gefischt hat. Überschriften aus dem großen Meer der Anspielungen, mit denen Journalisten und namentlich Feuilletonisten gern Buchtitel, Filmtitel, Songtitel usw. umsegeln. Klassisch hierzu natürlich schon der ewige MRR:

  • »Jenseits der Literatur« = Überschrift seines Verrisses zu Martin Walsers »Jenseits der Liebe« (1976)
  • »Die Angst des Dichters beim Erzählen« = Überschrift zu Peter Handke (1972)

Es gibt gewisse ungeschriebene Gesetze der Branche: Wenn z. B. Franka Potente neulich einen Erzählband vorlegt, dann kann die Überschrift natürlich nur wie lauten? Genau:

  • »Lola schreibt« (Tagesanzeiger, 5. August, und WELT, 7. August)

Witzig ist es dann eben auch mal, Langzeitprofile anzulegen. Christoph Poschenrieder hat genau das getan und eine Liste gesammelter Verballhornungen vorgelegt, die auf Schopenhauers »Die Welt als Wille und Vorstellung« anspielen:

  • »Die Welt als Willy und Vorstellung« (Tagesspiegel, Artikel über die SPD)
  • »Die Welt als William und Vorstellung« (ZEIT, Artikel über Shakespeare am Berliner Ensemble)
  • »Die Welt als Wille und Wechselstrom« (FAZ)
  • »Die Welt als Pille und Vorstellung« (SZ-Magazin)
  • »Die Welt als Wille und Vorurteil« (Der Standard)

Diese und weitere Findungen sind nachzulesen im aktuellen Diogenes-Magazin (Nr. 4, Sommer 2010, S. 22).

Wieso sammelt Poschenrieder Schopenhauer-Überschriften? Weil er einen Schopenhauer-Roman vorgelegt hat: »Die Welt ist im Kopf«. Das Buch liest sich schnurstracks weg. Ein bisschen so als hätte Daniel Kehlmann über Schopenhauer & Lord Byron statt über Humboldt & Gauß geschrieben.


Die Ergebnisse der …
Feuilleton-Meisterschaft 2009

Leipzig, 12. Januar 2010, 06:35 | von Paco

Endlich kommt er wieder ans Licht gekrochen, der Goldene Maulwurf, zum nunmehr *fünften* Mal:

Der Goldene Maulwurf

Und hier sind sie, die Autoren und Zeitungen der 10 angeblich™ besten Artikel aus den Feuilletons des Jahres 2009:

1. Maxim Biller (FAS)
2. Peter Richter (FAS)
3. Henryk M. Broder (Tagesspiegel/Spiegel)
4. Wolfgang Büscher (Zeit)
5. Hans Ulrich Gumbrecht (Literaturen)
6. Nora Reinhardt (Spiegel)
7. Tom Kummer (Freitag)
8. Birk Meinhardt (SZ)
9. Felicitas von Lovenberg (FAZ)
10. Dietmar Dath (FAS)

Der 2009er war wieder ein hervorragender Jahrgang des deutsch­sprachigen Feuilletons. Eine genauere Durchleuchtung unseres Rankings gibt es in den 10 Mini-Laudationes, die sich wie die Jahrgänge 2005, 2006, 2007 und 2008 auch direkt von der rechten Seitenleiste aus anklicken lassen.

Auch in diesem Jahr hat sich das Consortium bei der Auswahl und beim Ranking auf ein paar Wochen hin verfeindet, hehe. Auf unserer Longlist standen noch andere unbedingt lesenswerte Feuilletontexte, etwa die ganz hervorragende Robert-Enke-Berichterstattung von Ralf Wiegand in der SZ, Alexander Smoltczyks »Ciao bella«-Artikel im »Spiegel«, Niklas Maaks Text über das Ende der deutschen »Vanity Fair« (FAS, 22. 2. 2009, S. 29), das Broder-Biller-Doppelinterview im SZ-Magazin oder Jochen-Martin Gutschs »Spiegel«-Artikel über Boris Becker.

Und dass die Schweiz 2009 so sehr mit sich selbst beschäftigt war (bröselndes Bankgeheimnis, Libyen-Affäre, Minarette), hat irgendwie auch das NZZ-Niveau gedrückt. Entdeckt haben wir aber Samuel Herzog, der zwar stets wenig Raum bekommt für seine Kunstbericht­erstattungsartikel in der NZZ, den aber ganz hervorragend ausfüllt.

Usw.

Bis zum nächsten Jahr,
Consortium Feuilletonorum Insaniaeque


»24h Berlin« – Logdatei

Paris, 21. September 2009, 13:15 | von Paco

»24h Berlin«, gedreht am 5. September 2008, zwischen 6 Uhr früh und 6 Uhr früh (Umbl berichtete). Gesendet genau ein Jahr danach (ARTE, rbb). Das nicht hineingeschnittene Material der 80 Kamera­teams, über 700 Stunden, geht an die Deutsche Kinemathek. Insge­samt ein leicht größenwahnsinniges, am Ende trotzdem irgendwie gelungenes Projekt, das in 80 Jahren sicher KultTM sein wird, so wie heute der Amateurfilm »Menschen am Sonntag«.

Ein allerdings schlimmes Makel dieser 24 Filmstunden sind die seifigen Off-Texte, die manchmal schwer auszuhalten sind. Wer spricht da, wer klotzt da seine ewigen Weisheiten raus? Die Texte sind ein sehr oft missglückter Mix aus Lexikonbrei, ambitionierter Lakonie, T-Shirt-Parole, steriler Pointe und einer Prise »leider kein Einzelfall«. Beispiele folgen in den hier geloggten Passagen:

Guttenberg nach dem Interview über die McCain-Nominierung: »Hat der Starbucks schon offen, ey!« (6:12)

Thomas de Maizière (am Telefon): »Und Afghanistan-Konzept is okay?« (7:39)

Information zur halben Stunde: Jeden Tag sterben in Berlin 84 Menschen (9:30).

Daniel Barenboim mit einer Havanna im Auto auf dem Weg zur Staatsoper, zitiert Churchill über den Sport (10:02).

Ständig taucht Oliver Gehrs in den Zwischentiteln auf, ein Porträt mit Motorradhelm, er wird aber leider nicht als Protagonist gefeaturt.

Werner Sonne bereitet im ARD-Hauptstadtstudio einen Nachruf auf Helmut Schmidt vor, 10:43.

Diese ewige Infodrescherei: In Berlin leben 3,4 Mio. Menschen bei 6 Mio. Ratten (11:00).

Der France-2-Korrespondent versucht Erich/Eric/Erisch (Honecker) richtig auszusprechen (11:14), er will sich dessen Atombunker ansehen, der demnächst versiegelt wird.

Die Kammerjäger stoßen bei der Suche nach einem Geruchsherd auf einen Erhängten im Heizungsraum, kurzer Schreck um 12:06.

Off-Text zum Weghören: »Über Berlin kamen der Döner Kebab und die Currywurst nach Deutschland. Wie jedes Nahrungsmittel werden sie zu Brei zerkaut und wandern durch die Speiseröhre hinab in den Magen.« (12:37)

»Im wuuunderschööönen Monat Maiii, …« – Barenboim am Piano, Villazón singt, 13:35.

Off-Text: »Im Zug finden über 300 Menschen Platz. Jeder von ihnen ist zusammengesetzt aus 65 Prozent Sauerstoff, 18 Prozent Kohlenstoff, 10 Prozent Wasserstoff, 3 Prozent Stickstoff, 1,5 Prozent Kalzium und einem Prozent Phosphor. Über den Sitz der Seele und ihre Zusammensetzung ist nichts bekannt.« (14:23) Äh, aha?

Leslie Bomba im Callcenter, zum x-ten Mal: »Ham‘ Sie schon mal über ’ne Zahnzusatzversicherung nachgedacht?« (15:36)

Beim Schamanen (16:33): »Element Erde im Norden, ich bitte dich um Unterstützung bei dieser Reinigung.« – »Die Ausbildung zum Schamanen kostete ihn 250 Euro im Monat.« (16:44)

Galerie Eigen+Art, 16:56, neue Werke von Uwe Kowski werden ausgestellt.

18:22 beim Holocaust-Denkmal, 18:24 Speed Dating in Charlottenburg, 18:30 landet in Tegel »das erste Flugzeug direkt aus Peking«, 18:59 Abendgebet des heroinsüchtigen Mario Krüger.

Raunender Off-Text, anlässlich der Ruinen des Palastes der Republik: »Geschichte steht nicht still. Sie ist ein blutiges Spiel. Wem sie einst wohlgesonnen war, den lässt sie heute fallen.« (20:08) Tendenziell ein T-Shirt-Text ambitionierter Abiturienten.

Weitere Off-Text-Banalität: »Die Presse berichtet über den amerikanischen Wahlkampf. John McCain oder Barack Obama. Beide hoffen auf den Sieg, aber nur einer wird gewinnen.«

Sehr geil, wie die Callcenterin Leslia Bomba erzählt, dass sie mal 5 Stunden mit ihrem Freund (genau:) telefoniert hat, bis er dann endlich ihr Freund wurde (21:24).

Regionalzeitungsprosa aus dem Off: »21:36 Uhr, in 24 Minuten wird das Pergamonmuseum geschlossen, dann geht das Licht aus über den Schätzen des Altertums.«

Die Galerie Eigen+Art schließt (21:45), alle gehen essen.

Um 21:59 kommt endlich heraus, warum der Tegel-Protagonist lebenslänglich einsitzt: Er hat eine Bekannte erwürgt (die Herauszögerung dieser Info über mehrere Stunden ist eines der wenigen dramaturgischen Elemente).

Die Sufis im Wedding schaukeln sich in Trance, 22:58. Gloria Viagra ist fast fertig verwandelt für seinen Auftritt, 22:59. »Jeder siebte Berliner ist dem gleichen Geschlecht zugeneigt.« (23:35) Der Taxifahrer nimmt einen Bundeswehrkoch mit, 00:10. Aus dem Off wird Goethes »Ein Gleiches« zitiert, um 00:23, warum auch immer, irgendwelches Vanitas-Zeugs halt, darauf ist ja das ganze Projekt getrimmt.

Paul van Dyk spricht über Sushi, 00:42. PvD viel angenehmer, sympathischer, klüger als Ricardo Villalobos.

Um 01:00 ein Spezial von Rosa von Praunheim, bis 01:06. Prank Call bei der Telefonseelsorgerin, 02:11. Ali Haydar und seine Kumpels streichen schon die Segel, um 3 ist er zu Hause. Ziemliche Material-Durststrecke, minutenlange Schreie aus einem Geburtszimmer, langatmige Straßenszenen.

Um 05:42 wird es schon wieder hell. Eigen+Art-Lybke nimmt um 05:49 den Zug zurück nach Leipzig.

In der letzten Stunde werden sonst vor allem die ausführlichen Credits gebracht, dürfte einer der längsten Abspänne der Filmgeschichte sein, also wenigstens noch ein Superlativ.

(Alle hier weggelassenen Sachen stehen in der Kritik von Christiane Peitz, Tagesspiegel vom 2. 9. 2009.)


Im »Spiegel« Nr. 22 (25. 5. 2009):
Kurbjuweit über Mißfelder

Paris, 30. Mai 2009, 07:18 | von Paco

Montag am Jardin du Luxembourg gewesen und endlich mal wieder den »Spiegel« gekauft (Nr. 22/2009). Es sollte eigentlich mein Roman für diese Woche werden, doch dann habe ich ihn gleich am Montag ausgelesen gehabt, im südlichen Bereich des Jardin, in der Nähe des triumphierenden Löwen von Auguste Caïn.

Ein komplettes Heft zu lesen, diese unendlich schöne Spiegel-Sprache, war wieder mal ein Moment höchster Erphyllung des Alphabetentums. Und neben der beinharten Titelstory über den Schuss des mittlerweile als Stasimensch enttarnten Polizisten auf Benno Ohnesorg gab es auf den Seiten 68 bis 75 einen weiteren absoluten Hammertext, der hier­mit automatisch für unsere 2009er Feuilleton-Top-Ten nominiert ist:

Der Schattenmann

Niemand hat so zielstrebig Karriere in der CDU
gemacht wie Philipp Mißfelder. Er ist auf dem Weg nach
ganz oben, aber dafür muss er sich ständig der
Kanzlerin anbiedern. Ein Bericht über den Zustand des
Menschen in der Politik. Von Dirk Kurbjuweit

Es ist ein exemplarischer Text über einen neuartigen homme politique. Mißfelder, der derzeitige JU-Vorsitzende, sei als Vertreter dieses Typus »die Zuspitzung, die Verdichtung des politischen Systems«.

Es geht auch um einen Zeitungsmoment, den »Tagesspiegel« vom 3. August 2003, in dem das Interview publiziert wurde, in dem Mißfelder den armen 85-Jährigen keine künstlichen Hüftgelenke auf Staatskosten mehr gönnen wollte. Und es geht um die drei Handys, mit denen der Parvenü ständig hantiert.

Kurbjuweit hat seine Langzeitstudie entlang der These geschrieben: »Die Leere des Menschen könnte bald zu einer Voraussetzung für den Erfolg in der Politik werden.« Und es gab sicher auch schon andere Texte über dieses Thema, Klagen über eine austauschbare, leiden­schaftslose Politikergeneration. Aber die Exemplarik des Kurbjuweit-Textes ist atemberaubend. Nie wieder muss jemand dieses Thema beackern, ein Link auf Kurbjuweit wird in Zukunft völlig ausreichen.

Usw.


Kummer, Kracht und das
Copy-Shop-Feeling bei »Tempo«

Konstanz, 20. Februar 2008, 12:12 | von Marcuccio

Vor knapp einem Jahr sind Tom Kummers Memoiren »Blow up« erschienen. Eben gelesen stimme ich mit Gerrit Bartels absolut überein, dass das Buch »große, feine Momente« hat. So gibt es zum Beispiel endlich mal wieder frische Mythen aus dem Hause »Tempo«. Zwei davon exklusiv hier, in unserem Reading Room. (Zahlen in Klammern = Seitennachweise aus »Blow up«).

1. Wie Tom Kummer enthüllt: »Tempo« war eigentlich gar kein Zeitgeist-Magazin, sondern ein Copy-Shop!

»Mein erster Gedanke beim Betreten der Redaktionsräume war dieser: Habe ich mich im Eingang geirrt? Hier sah alles wie in Copyland aus. (…) Die Tempo-Redaktion erinnerte mich an eine Mischung aus (…) schmucklosen Kopierläden und studentischen Wohngemeinschaften. Ich war ein wenig überrascht, wenn man bedenkt, wie edel das Gebäude von außen wirkte und wie glamourös sich das Heft gab«. (104 f.)

Im Innern war »Tempo« also eigentlich ein Copy-Shop. Und als solcher zugleich die Achtziger-Jahre-Vorform der Blogosphäre. Kummer schreibt das jetzt nicht explizit (zum Glück!), aber er suggeriert es durchaus plausibel:

»Mit Kopierläden kannte ich mich gut aus, das waren (…) die besonderen Treffpunkte zeitgeistiger Strömungen. Man konnte in Kopierläden die aufregendsten Menschen kennenlernen, Leute, denen man sonst nie begegnen würde. Recherchen im Internet gab es noch nicht – alles musste mühsam aus Heften und Büchern rauskopiert werden, und so wurden bestimmt einige der ganz großen Ideen zum ersten in einem Kopierladen geboren.« (105)

Konsequenterweise pflegte »Tempo« nicht nur den Copy-Shop-Look, sondern auch die echte (in solchen Läden ja durchaus bis heute übliche) Ich-bedien-dich-nicht-Atmosphäre:

»Eine Traube von Leuten stand um ein Kopiergerät herum. Alle Köpfe drehten sich jetzt in meine Richtung. Es waren wohl Redakteurinnen und Sekretärinnen, die mich mit cooler Herablassung anglotzten und gleich wieder mit cooler Herablassung wegschauten. (…) Vielleicht wurde ich für einen Fahrradkurier gehalten. Niemand schien mich zu bemerken. (…) Nach zehn Minuten fragte mich eine junge Frau, ob sie mir helfen könne.« (105 f.)

Und dann darf der Fahrradkurier tatsächlich bei »Tempo« anfangen, und kriegt sogar schon bald Verstärkung.

2. Wie Christian Kracht zu »Tempo« kam, für Kummer kopieren musste und das Ergebnis nicht streifenfrei war:

»Ein junger, blondhaariger Schnösel betrat irgendwann die Redaktion. Er war Volontär oder so etwas in der Art und stellte sich als Christian vor. Er sei Schweizer. Das konnte ich kaum glauben, denn der Blonde konnte kein Schweizerdeutsch, was sehr lustig war. Ein Schweizer, der keinen Dialekt spricht – davon hatte ich noch nie gehört.« (117)

Wenn es damals schon einen gewissen Fabian Unteregger gegeben hätte, würde ich ja fast wetten, dass es der nicht bestandene Schnütsgüfeli-Test war, der Kracht das Los des Kopiersklaven unter Eidgenossen bescherte. Vielleicht haben die beiden aber auch ein Schwingen ausgetragen, um zu entscheiden, wer wem was zu sagen hat? Jedenfalls (Kummer):

»Ich sagte dem Blonden, er solle mir beim Kopieren helfen, wenn er schon sonst nichts zu tun hätte, ich hatte mir nämlich ein riesiges Arsenal von Fachliteratur für meinen nächsten großen Auftrag besorgt: Drogen in Deutschland – der ultimative Tempo-Test. Und so kopierte ich mit dem Blonden alles, was man über Kokain, Heroin, LSD so finden konnte. Ich erzählte dem Blonden, was für eine grandiose Geschichte dies werden würde, eine Reise durch Deutschland, auf der Suche nach den besten und miesesten Drogen, die diese Republik zu bieten habe. Und dass das gleichzeitig ein Sittenbild werden solle über ein Land das es in dieser Form bald nicht mehr geben würde.« (117)

Na ja, der »Tempo«-Drogenreport schaffte es dann, wie Kummer später schreibt, nie ins Heft. Aber aus der Reise durch Deutschland, den miesen Drogen und dem Sittenbild wurde ja immerhin noch … »Faserland«, genau.

Kummers Kopierauftrag bei »Tempo« als Keimzelle für Krachts literarische Karriere – das wäre dann aber wirklich noch ein hübsche späte Pointe auf Willi Winklers frühe »These von der Geburt der neuesten deutschen Literatur aus dem Geist der Szenezeitschriften« (S-Zeitung vom 14. April 1987). Achtziger-Jahre-Feuilleton, auf jeden Fall – wir Umblätterer machen da manchmal so Retro-Abende, hehe.

Und logischerweise meinte Winkler seinerzeit gar nicht Kracht, sondern Joachim Lottmann, der gerade »Mai Juni Juli« veröffentlicht hatte. Derselbe Lottmann behauptete dann aber Jahre später auch:

»Als später Christian Kracht mit einer Kopie von ›Mai, Juni, Juli‹ triumphal als Begründer der deutschen Popliteratur gefeiert wurde, rief er mich mit belegter Stimme an; ich glaube, er hatte geweint.«

Ob Lottmann sich derweil eigentlich auch bei »Tempo« verdingt hat und wer dort nun welche Vorlage beim Kopieren vergessen hat, je ne sais pas. Das wird dann aber hoffentlich mal in aller Gründlichkeit die historisch-kritische Kracht-Ausgabe klären. Und am Ende ging wahrscheinlich sowieso alles über den »Tempo«-Kopierer. Ich vermute ja fast: Auch das legendäre Faserland-Design ist Copy Art – oder arbeiteten die Kopierer der »Tempo«-Jahre wirklich schon streifenfrei?


Der Sonntagstaucher:
Sonntags in den Feuilletons

Leipzig, 25. November 2007, 14:20 | von Paco

Seit dem überregionalen Start der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« Ende 2001 hat der Sonntagszeitungs-Markt an Qualität und Dynamik gewonnen. Weil es für ihn bisher noch keinen regelmäßigen Übersichtsdienst gibt, gehen medienlese.com (Ronnie Grob, Florian Steglich) und Der Umblätterer (Frank Fischer, Marc Reichwein) in einer einmaligen konzertierten Aktion mit gutem Beispiel voran. Das Ganze geschieht im Stil des Perlentauchers, den wir von hier aus herzlich grüßen. Wahrscheinlich muss nur noch die lange geplante »Süddeutsche am Sonntag« an den Start gehen, bevor der Perlentaucher auch am Sonntag nicht mehr um eine Feuilleton-Rundschau herumkommt. Wir freuen uns darauf.

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Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 25.11.2007 (Florian)

»Mehr Kultur braucht kein Mensch«, stellt Nils Minkmar im Aufmacher des Feuilletons fest und hofft darauf, dass das gerade in Dresden gegründete World Culture Forum ein regionales Phänomen bleibe. Denn an Kultur in verschiedensten Formen und Verständnissen mangele es wirklich nicht in Deutschland. »Es ist ein Begriff, der keinen Widerspruch erregt und auch nicht duldet: Keine Form der Kultur wird auf die andere losgehen, er ist konfliktfrei und additiv. Wie Seifenblasen schweben die Kulturformen und Disziplinen nebeneinander, und es gibt immer bloß diese eine gültige Forderung: mehr. Mehr Straßenkultur, mehr freie Kultur, mehr Unternehmenskultur, mehr Medienkultur, und wenn es wider Erwarten doch mal laut und deutlich wird, brauchen wir mindestens eine veränderte Streitkultur.«

Weitere Artikel: Den müden, nein: schlafenden Ben Affleck interviewt Johanna Adorján, die wachere und rauchende Schauspielerin Katrin Wichmann porträtiert Eberhard Rathgeb, Niklas Maak besucht die neueste Stätte der Gentrifizierung, das New Museum in der Lower East Side von New York, und Karl-Peter Schwarz schreibt über den Nationalismus in Text und Auftreten des kroatischen Sängers Marko Perkovic. Medienredakteur Harald Staun nimmt sich der Turbulenzen beim »Spiegel« an und macht deutlich, dass das Auflage-Machen für den Nachfolger Stefan Austs die schwerste Aufgabe werden wird.

Besprochen werden Karin Beiers Shakespeare-Inszenierung »Maß für Maß« in Köln und Michael Thalheimers »werktreue« »Winterreise« am Deutschen Theater in Berlin, außerdem Martin Gypkens Judith-Hermann-Verfilmung »Nichts als Gespenster« – und fünf bei YouTube zu findende Videos, auf denen man Geistesgrößen wie Foucault oder Luhmann in Bewegung sehen kann; nicht selten ein »Kulturschock, (…) weil die Gedanken plötzlich ein Gesicht bekommen und die Autoren eine Gestalt, die stilistisch nicht immer mithalten kann mit der Eleganz ihrer Thesen.«

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Tagesspiegel, 25.11.2007 (Ronnie)

Kerstin Decker nimmt den Roman »Havemann« von Florian Havemann über seinen Vater, den DDR-Dissidenten Robert Havemann, zum Anlass, über das verklärte Bild der DDR-Dissidenten nachzudenken. Im Buch mache der Sohn des Oberdissidenten der DDR grosse Löcher in die Dissidentenaura seines Vaters Robert und in die des Vizedissidenten Wolf Biermann gleich mit. Vater Havemann habe antisemitische Briefe geschrieben und Biermann habe schon vorher gewusst, dass er rausfliegt aus der DDR, wenn er in Köln singt anno 1976. Nun sollen auch sie »teilgebückt und ungerecht« gewesen sein. Damit verbundene, aufkommende Irritation verbindet sie damit, dass das Wort Dissident klingt wie der Gute, Aufrechte, Gerechte. Sie stellt aber klar: »Diese Dissidenten waren Kommunisten und galten trotzdem als die Guten, gerade im Westen.« Gegen Ende macht sie aber doch noch Gerechte aus. Wolfgang Ullmann war einer. Und Friedrich Schorlemmer. Sie mahnt, dass Opposition kein Privileg der 68er sei und meint, es wäre »dumme Härte«, diesen Roman vom Tisch zu wischen. Auch wenn sie dem Autor vorwirft, sein radikal subjektiver Ton streife immer wieder das Prätentiöse, attestiert sie ihm viel reflexive Kraft, ja fast Weltweisheit.

Christiane Tewinkel war im Deutschen Theater und sah eine »Winterreise«, die mehr bietet als das Standbild Sänger-vor-Flügel, aber was genau dieses Mehr ist, kann nicht geklärt werden. Immerhin attestiert sie Michael Thalmeiers Inszenierung, Schuberts Zyklus nicht zu stören und schliesst mit der Vermutung, dieses Werk habe die elegant rattenfängerische Veranschaulichung einfach nicht nötig.

Christina Tilmann gratuliert Rosa von Praunheim zum 65. Geburtstag und illustriert den Text mit einem Archivbild des Künstlers. Untertitel: »Der Filmemacher, als er noch Holger hiess«. Rolf Strube feiert den 150. Todestag von Joseph Freiherr von Eichendorff, und »Du sollst begehren«, Gay Taleses epochales Werk über die sexuelle Revolution in den USA, wird besprochen.

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NZZ am Sonntag, 25.11.2007 (Marc)

Bänz Friedli berichtet im Aufmacher über den »Coup« des Zürcher Dada-Hauses, das ab 29. 11. Aquarelle des Schockrockers Marilyn Manson zeigt. Philip Meier, Direktor des Cabaret Voltaire, sieht »Manson durchaus als Nachfahren von Dada: ›Die Dadaisten waren, wie heute Manson, Grossmeister darin, Provokation als künstlerisches Stilmittel einzusetzen.‹ Für einen Manson bezahlt man zwischen 8000 und 45000 Dollar.«

Passend dazu schaut Gerhard Mack nach den Herbstrekorden auf dem internationalen Kunstmarkt gespannt nach Miami Beach. Zwar gebe es »Anzeichen für eine Korrektur« in der Kauflaune der Sammler, allerdings noch nicht zur Kunstmesse in Florida, wo die Geschäfte erfahrungsgemäß schon allein wegen der klimatischen Verhältnisse in »animierter Stimmung« verliefen: »Miami heißt für die Ostküste der USA eine Woche Sonne, während in Boston und New York bereits der Winter in die Sonne beisst.«

Manfred Papst unterhält sich mit dem Jazzmusiker Oliver Lake, der beim diesjährigen unerhört!-Festival in Zürich zu Gast ist. In der Glosse »Zugabe« macht sich Manfred Papst klar, »wie gegenwärtig Latein auch in unserer modernen Welt ist«. Besprochen werden David Mitchells »Der dreizehnte Monat«, der in einer restaurierten Version auf DVD erhältliche Heinrich Gretler alias »Wachtmeister Studer« und eine Biografie über die vor 50 Jahren verstorbene Bündner Autorin Tina Truog-Saluz. Über weitere Bücher sowie Filme, Ausstellungen und CDs informiert die Doppelseite »In Kürze«.

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SonntagsZeitung, 25.11.2007 (Marc)

Im Vorfeld der offiziellen Bekanntgabe der Nominierungen für den Schweizer Filmpreis 2008 nimmt Matthias Lerf die eidgenössische Filmszene ins Visier. Nur 5,8 Prozent Marktanteil hätten die einheimischen Produktionen in einem »enttäuschenden Schweizer Spielfilmjahr 2007« zu verzeichnen gehabt (2006 waren es, nicht zuletzt dank Bettina Oberlis Erfolgskomödie »Die Herbstzeitlosen«, noch 9,6 Prozent gewesen). »Auch 2008 kommen nicht sehr viele Schweizer Spielfilme in die Kinos, die aufs grosse Publikum zielen.« Nun ruhten viele Hoffnungen auf der Puppen-Animation »Max & Co«, dem mit knapp 30 Millionen Franken teuersten Schweizer Film aller Zeiten, der kommenden Februar in die Schweizer Kinos kommt. Insgesamt bleibe »2008 eher ein Übergangsjahr«, denn wichtige Projekte Schweizer Filmemacher seien nicht vor 2009 zu erwarten.

Außerdem: Agnes Baltsa, »vor Cecilia Bartoli die berühmteste Mezzosopranistin der Welt«, spricht im Interview über ihren Mentor Karajan und die Primadonnen-Vermarktung im Musikbetrieb. Helmut Ziegler war zu Gast bei Udo Jürgens, dessen 23 größte Hits am kommenden Sonntag Premiere als Musical »Ich war noch niemals in New York« im Hamburger Operettentheater haben. In der Kolumne »Short Cuts« macht sich Ewa Hess Gedanken über »das Phänomen der Miss November« in einem Bildband, der Playboy-Playmates aus über fünf Jahrzehnten Playboy versammelt.

In Kurzform besprochen werden Bücher, darunter Andrew Delbancos »mitreissende Biografie« über Moby-Dick-Erfinder Herman Melville. Ferner finden sich Kulturtipps zu aktuellen CDs, Filmen und Ausstellungen. Und im Multimedia-Teil informiert Ronnie Grob über die Herausforderungen für die Online-Angebote der klassischen Zeitungsverleger durch Google News.

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Welt am Sonntag, 25.11.2007 (Frank)

Im Aufmacher der Kultur-Seiten feiert David Deißner anlässlich des 150. Todestages den Realitätssinn von Joseph von Eichendorff (1788-1857). Er habe zwar als Lyriker des ständigen Aufbruchs (»Wem Gott will rechte Gunst erweisen, …«) das Flatterhaft-Romantische gestaltet, sei aber im richtigen Leben ein verlässlicher preußischer Staatsdiener und »ausgesprochener Familienmensch« gewesen. Damit stehe er gegen den Trend, nach dem Künstler »Freaks, Schwärmer, Langschläfer« zu sein haben.

Als Centerfold gibt es ein Michelangelo-Special, anlässlich des soeben erschienenen ziegelsteinartigen Bandes »Michelangelo. Das vollständige Werk«. Die Doppelseite in der WAMS besteht aus einem Viertel Text und drei Vierteln Abbildungen. Den größten Teil nimmt ein Auszug aus dem »Jüngsten Gericht« aus der Sixtinischen Kapelle ein. Passend dazu erzählt Manfred Schwarz im nebenstehenden Text, wie es zu den weitläufigen Übermalungen der unkeuschen Stellen kam: Dem Zeremonienmeister des Papstes hätten die vielen nackten Körper gestört. Der Künstler ließ ihn daraufhin im Wandgemälde auftreten, »mit schmerzverzerrten Gesicht, weil ihm gerade eine Viper die giftigen Zähne ins entblößte Geschlechtsteil bohrt«. Leider nicht in der WAMS steht die Episode von den ersten auf das Gemälde aufgebrachten Stofffetzen: Diese wurden von Daniele da Volterra ausgeführt, der daraufhin den Kosenamen »Höschenmaler« bekommen sollte.

Rüdiger Sturm führt ein Interview mit Schauspieler und Buddhist Richard Gere. Es geht um seinen neuen Film, die Thrillerkomödie »The Hunting Party«, in der Gere einen Kriegsreporter spielt, der den meistgesuchten bosnischen Kriegsverbrecher jagt. Angesprochen auf sein Image als Sexsymbol erwähnt Gere schönerweise Magrittes Bild »La trahison des images«, das zwischen Abbild und Originalgegenstand unterscheidet – dasselbe klagt er für sich ein.

Auf der Medienseite erklärt Marco Stahlhut den Erfolg der RTL-Dokusoap »Bauer sucht Frau« (»Hauptreiz ist der Zusammenstoß der Kulturen«). Besprochen werden das Erinnerungsbuch »Prag, Poste Restante« des Heinrich-Mann-Enkels Jindrich Mann (»ein eigenartiges und schönes Buch«) und Kylie Minogues Comeback-Album »X« (»kann die hohen Erwartungen leider nicht erfüllen«).

Auch die Beilage »Klassik am Sonntag« wird dann qua Editorial von Friedrich Pohl unter den Stern der Romantik gestellt. In einem doppelseitigen Interview widerspricht dann Daniel Barenboim den Epochenbezeichnungen der Musikwissenschaft: »Jede Musik ist sowohl romantisch als auch klassisch. Auch Bach.« Außerdem gibt es anlässlich einer Neuerscheinung eine reich bebilderte Übersicht über Bayreuther »Ring«-Inszenierungen sowie ein Porträt des vor 150 Jahren gestorbenen Edvard Grieg.

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Bild am Sonntag, 25.11.2007 (Frank)

Kritiken kürzer als ein Klappentext gibt es wie immer in der Bücher-Rubrik »Schon gelesen?«. Der früher als »Deutschlands beliebtester Buchkritiker« bekannte Alex Dengler bespricht in seiner Spalte sechs Bücher und verteilt dabei vier Pfeile nach oben und zwei nach unten. Begeistert war er etwa von Alex Davies‘ bei Diogenes erschienener Komödie »Froschkönig«: »Dieses Buch ist wie das Treffen mit einem guten Freund.« Was auch immer das jetzt heißen mag.

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