Archiv des Themenkreises ›Atlantic‹


Kaffeehaus des Monats (Teil 81)

sine loco, 13. September 2013, 10:53 | von Josik

Wenn du mal richtig Zeitung lesen willst:

Das Café Dalyano in Dalyan, ein wie immer künstlerisch bescheidenes Foto, sry

Dalyan
Das »Café Dalyano« an der Sulungur Caddesi.

(Im Zeitschriftenstapel neben dem Spielestapel taucht plötzlich z. B. auch die »Marie Claire« auf. Der Chef des Café Dalyano spricht fließend Holländisch, deshalb finden sich im Spielestapel auch ein holländisches »Trivial Pursuit«, ein holländisches »Scrabble« und ein holländisches »Vier gewinnt«. Da wir des Holländischen nicht mächtig sind, überlegen wir kurz, ein bisschen Fantasieholländisch-Scrabble zu spielen. Stattdessen entscheiden wir uns aber, wie es sich gehört, für Backgammon. Jeden Tag kommen wir ein bis drei Mal hierher, da es nirgendwo sonst einen orangigeren Orangensaft und fantastischere Cocktails gibt – auch solche, die gar nicht auf der Karte stehen. Der Caféhund bellt jedes vorüberfahrende Auto an, sehr gut! Irgendwann fangen die Kellner an, sobald sie uns hereinspazieren sehen, uns sofort das Backgammonbrett zu bringen. Statt der »Marie Claire« lesen wir die selbstmitgebrachten »Atlantic«-Hefte, da wir fatalerweise schon zweieinhalb Ausgaben im Lektürerückstand sind. Als wir bei dem Artikel angelangt sind, in dem behauptet wird, Kafka sei overrated, verlässt uns der Mut dennoch nicht. Hier, wo einem der Wein ins Gesicht wächst, ist es viel zu schön, als dass wir uns über eine derart billige Polemik überhaupt erregen könnten. Drei süße holländische Kinder springen vom Nachbartisch herüber und wollen uns das Backgammonbrett abschwatzen. Natürlich darf man sich davon aber nicht erweichen lassen.)
 


Post von Philip Roth

Berlin, 2. Juli 2012, 20:59 | von Josik

Im Jahr 2009 wurde Reich-Ranicki in der Kolumne »Fragen Sie Reich-Ranicki« von Unterschrift unlesbar suggestivgefragt, warum Philip Roth den Nobelpreis bekommen sollte. Im Prinzip die gleiche Frage war Reich-Ranicki aber auch schon 2007 gestellt worden, und als die mehr oder weniger gleiche Frage ihm auch 2008 gestellt wurde, antwortete Reich-Ranicki völlig zu Recht: »Bitte, lassen Sie mich in Ruhe.«

Nun hat Philip Roth den Nobelpreis noch immer nicht erhalten, man sollte aber natürlich gewappnet und informiert sein. Deshalb: Philip-Roth-Hagiografen, aufgepasst! In der Juniausgabe des »Atlantic« ist auf Seite 14 folgender Leserbrief von Philip Roth abgedruckt:

»Joseph O’Neill ist in seinem Artikel über mein Werk ein unglück­licher biografischer Irrtum unterlaufen. Er schreibt, ich hätte einen Nervenzusammenbruch gehabt. Diese Aussage ist nicht zutreffend, und mein Lebensweg gibt rein gar nichts her, was diese Aussage stützen könnte.

Nach einer Knie-OP im März 1987, als ich 54 Jahre alt war, bekam ich das Schlafmittel Halcion verschrieben, ein hypnotisches Sedativ aus der Medikamentengruppe der Bendzkodiazepine, das eine ganze Reihe von Nebenwirkungen lähmender Art hervorrufen kann. Man spricht bisweilen auch von der »Halcion-Durchgeknalltheit«. Zu der Zeit, als mir von meinem Orthopäden dieses Medikament für die Nachbehandlung verschrieben wurde, war es in Holland, Deutschland und anderswo aufgrund seiner extremen Nebenwir­kungen, die bis hin zu Selbstmord gehen konnten, bereits vom Markt genommen worden.

Die Nebenwirkung, wie ich selbst sie verspürte, entsprach exakt jener, wie sie klinisch eindeutig definiert und in der medizinischen Literatur erschöpfend dokumentiert ist, sie begann, als ich das Mittel zu nehmen anfing, und sie endete abrupt, als ich es, mit hilfreicher Unterstützung meines Hausarztes, absetzte.

In einem Aufmacher der New York Times aus dem Januar 1992 wurde unter der Überschrift ›Schlaftablettenhersteller vertuschten Daten über die Nebenwirkungen‹ Halcion als ›gefährlicher denn sonstige Schlafmittel‹ bezeichnet und – genau so habe ich es in den drei Monaten erlebt, in denen ich, mir nichts weiter dabei denkend, dieses Mittel einnahm – als ›eher dazu angetan, Symptome wie Amnesie, Paranoia, Depression und Halluzinationen zu verursachen‹.

Philip Roth
New York, N. Y.«

Revenge is sweet, dachten sich da aber die »Atlantic«-Macher. Wenn man nämlich den Leserbrief gelesen hat und dann genau zweimal umblättert, springt einen im Fettdruck das folgende Barack-Obama-Zitat aus einem »Rolling Stone«-Interview an:

»The New Yorker and The Atlantic still do terrific work.«