Listen-Archäologie (Teil 11):
Königsfragen des Autoreninterviews

Leipzig, 1. Juli 2013, 14:02 | von Paco

Gérard Genette listet in »Seuils« (1987, dt. »Paratexte«) einige Stan­dardfragen des Autoreninterviews auf, die ich hier mal durchnumme­riert und listenarchäologisiert habe, inklusive einiger möglicher Antworten, die Genette ins Spiel bringt. (Quelle: die Suhrkamp-Ausgabe von 2001, S. 345f.)

1. »Ist dieses Buch autobiographisch?«

»Königsantwort: ›Ja und nein‹.«

2. »Gibt es Schlüssel?«

»Klischeeantwort: ›Keine Schlüssel: Es gibt vermutlich Modelle, aber ich habe sie unkenntlich gemacht.‹«

3. »Wurden Sie von X beeinflußt?«

»Überhaupt nicht, ich habe ihn nie gelesen.« – »Nein, nicht von X, sondern von Y, an den keiner gedacht hat.« (Christian Kracht über »Imperium«: »Thomas Mann? Nein, Erich Kästner!«)

4. »Vertritt oder veranschaulicht Ihr Buch eine Rückkehr zu … [Balzac, zum Erzählen, zur Psychologie, zur klassischen französischen Tradition, zu Kant, Descartes, Plotin …]?«

»Ja und nein, die Geschichte schreitet in Spiralen voran.«

5. »Hat Sie das Schreiben an diesem Buch verändert?«

»Ja und nein, ändert man sich überhaupt jemals?«

6. »Haben Sie lange daran gearbeitet?«

»Hier zwei gute Antworten: ›Ja, ich streiche ungeheuer viel‹ und ›Ich habe es sehr schnell geschrieben, nachdem ich es sehr lang in mir heranreifen ließ.‹«

7. »Welche Figur ist Ihnen am liebsten?«

»Soundso, weil er mir am wenigsten gleicht.«

8. »Aber die bei Interviews mit Romanautoren wichtigste Frage, weil sie sich nicht mit Ja, Nein oder Ja und Nein beantworten läßt, besteht darin, vom Autor zu verlangen, er möge das Verhalten seiner Figuren erklären (…). Nur wenige sind so standhaft wie Faulkner und übergehen sie.«
 

2 Reaktionen zu “Listen-Archäologie (Teil 11):
Königsfragen des Autoreninterviews”

  1. Gregor Keuschnig

    Diese Fragen haben ja den nicht zu unterschätzenden Vorteil für den Frager, dass dieser das Buch gar nicht gelesen haben muss. Aber auch der Befragte muss nicht unbedingt der Autor sein. Es ginge zur Not auch Helene Hegemann. Etwa mit Elke Heidenreich (besonders 1, 5 und 7).

  2. David Hoffmann

    Ein typisches Ping-Pong Spiel zwischen Interviewer und Autor. Einer möchte möglichst viel herauskitzeln und der Gegenüber will mit allen Mitteln möglichst wenig preisgeben.

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