Arial

Leipzig, 12. März 2012, 21:54 | von Hiller

It’s a really cool typeface if used correctly. It has something
to offer. It’s a bit like – on some days – preferring
your H&M sports jacket over your YSL one.
— Sarah Eaves

Saß am Schreibtisch und versuchte zu erkennen, ob Abfall in Arial
oder normal, irgendeine megascheußliche Times Roman,
besser ausschaut. Kann das nicht ermitteln.
— Rainald Goetz, Abfall für alle, S. 146

Nirgendwo verläuft die Grenze zwischen schwersten Menschheits­verbrechen und sublimen Wohltaten scharfkantiger als in der Typo­grafie. Ich weiß wovon ich rede und schneide mich selbst täglich daran. Vor kurzem habe ich mich auf genau jenem an sich unbewohnbaren Grenzstreifen schwer verliebt. Meine Liebe ist sehr verhasst und wird sowohl von 2005-Berlin-Mitte-Stylern als auch von Urheberrechtsfeti­schisten steckbrieflich gejagt. Sie heißt Arial.

Das ist mehr als erstaunlich. Denn noch vor einigen wenigen Jahren, in meiner – man könnte sie bezeichnen als: – typostalinistischen Phase habe ich mal den schwer zu durchschauenden Machern des Erbauungs­werkes DUMMY die Kulturrevolution an den Hals gewünscht, als sie in einer an sich sehr gewieften Aktion ihr komplettes Heft über die Schweiz in der schlimmen, weil bösen, weil hässlichen und geklauten Allerweltsschrift Arial gesetzt hatten.

Hier muss man vielleicht für die meisten, außer dem mitlesenden Deutschlandradio-Redakteur, ausholen. Es begab sich Ende der 1950er Jahre, dass die allenthalben sehr beliebten Akzidenz-Schrifttypen, mit denen man groß und klein aufmachen konnte, einer Reformierung bedurften, so dachte man jedenfalls in der schweize­rischen Schriftgießerei Haas, und ein Max Miedinger ging los und schuf die berühmte, übergroße, allmächtige, promiske, weil für alles zwischen Vietnam, Irak und Berlin-Mitte zu gebrauchende Neue Haas Grotesk, vulgo Helvetica. Nach 20 gemütlichen Jahren der Weltherrschaft geschah es, dass vor allem die Firma Microsoft nun wahrlich keine Lust auf lästige Lizenzgebühren hatte und flugs zwei kanadische Hippies via die Briefkastenfirma Monotype damit beauftragte, hier und dort ein bisschen rumzubasteln, auf dass eine neue, alte, und vor allem sehr lizenzfreie Schrift erstehe. Geboren ward Arial, der Hellboy unter den Schriften. Anstatt einer großen Steinfaust hatte und hat Arial die hässlichste 1 zwischen hier und Mexiko, und das schlimme große R ist eine Zumutung, und dass man dem großen G sein Standbein geklaut hat damals, sollte mal Gegenstand eines Gebr.-Coen-Films sein, gehört aber nicht hierher. Mittlerweile wird die die Office-Weltmeere lange beherrschende Arial übrigens von einer Armada aus C-Schriften (Cambria, Constantia, cet etera) versenkt, und mit ihr die Mitangeklagte Times New Roman.

Ich bin jedenfalls sehr verliebt jetzt, und dies liegt einzig und allein an, ja, Rainald Goetz. Puh, Rainald Goetz, werden Sie denken, »Abfall für alle«. Genau. An genau dieser Stelle dachte ich auch, ach nein, bitte nicht, ein Versehen? Ein ganzes Buch, von 1999 etwa, gesetzt in dieser Monsterschrift, warum, warum? Ich fühlte mich beim Aufschlagen – neulich, vor einem halben Jahr, als es endlich auch für mich Spätgeborenen an der Zeit war, alles nachzulesen, das ganze Jahr 1998 aus Goetz’scher Sicht – sofort in eine Art typografisches Schlammcatchen zwischen den ebenso an sich unausstehlichen Traktaten der Firma Merve mit ihrem Hardcore-»was nicht passt wird passend gemacht«-Original-Helvetica-aber-egal-Satz und des ansonsten so distinguiert vor sich hin setzenden Suhrkamp-Verlags, der heute mal so drastisch die Arial abfeaturete, erinnert. Aber es kam alles ganz anders, und es ward alles richtig.

»Abfall für alle« ist ja schon zur Genüge gefeiert oder geschmäht worden, und ich wundere mich jeden Tag, warum ich vor dem Einschlafen eigentlich so eine große Freude daran habe, zu lesen, was Rainald Goetz einmal an einem Maitag im Jahre 1998 getan oder vielleicht eben auch nicht getan hat. Aber eine Grunderkenntnis der Lektüre besteht darin, dass hier – außer Goetz selbst – jemand alles richtig gemacht hat, als er herging und das ganze bekloppte 800-Seiten-Werk in der (zuvor nach bestem Ermessen auf dem Bildschirm schauerlichen, auf Papier aber absolut abzulehnenden) Allerweltsschrift Arial Roman setzte (so abzulehnen wie: Nazivergleiche, Wulff-Bashing, The Artist).

Ein Trick für zuhause noch zum Nachkochen: Wählen Sie das richtige Papier (sehr dünn), und wählen Sie die richtige Proportion; die scheue, übernutzte Arial scheint sich in kleinen Punktgrößen erstaunlicherweise wohler zu fühlen. Und versuchen Sie, um jeden Preis, wie die weisen Setzer-subcontractors des Suhrkamp-Verlags (die übrigens im Eifer bis heute leider keine Zeit hatten, andere Tippfehler zu korrigieren), die wahrlich schauerlichen und jedes Kriegsgericht dieser Welt rechtferti­genden Arial-Versionen Bold und Italic zu vermeiden. Zahlen wie 1159, von Goetz damals betörend oft genutzt, und VERSALIEN gehen dagegen – verblüffenderweise, verstörenderweise – immer. Nur eine römische Arial ist eine gute Arial.
 

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