Hitchcock und Caravaggio

London, 1. Juli 2011, 21:43 | von Dique

Gerade habe ich das Caravaggio-Buch von Andrew Graham-Dixon beendet, »Caravaggio: A Life Sacred and Profane«. Letztes Jahr zu Weihnachten hatte ich mich noch geziert, es auch nur zu kaufen. Bei Hatchards lag ein riesiger Haufen, anderthalb Meter hoch, wie gemauert, und alle Exemplare waren signiert.

Das hätte mich sogar auch fast gereizt, aber dann hatte ich eben doch keine Lust auf noch ein Caravaggio-Buch, und außerdem fand ich es reichlich beknackt, mich von einer signierten Kopie animieren zu lassen. Doch der Titel blieb in meinem Kopf, 10 Jahre hat Graham-Dixon am Buch gearbeitet, das von allen Kritikern und Lesern auch ziemlich gefeiert wurde, und der Autor ist ja übrigens auch der Macher der fantastischen BBC-Doku »Travels with Vasari«.

Jetzt hatte ich also die Idee, dieses Buch doch haben zu müssen, und dann stand ich eines Tages bei Foyles und hatte es in der Hand und fing ein bisschen an zu lesen und wollte überhaupt nicht wieder aufhören. Anstatt es gleich mitzunehmen und im nächsten Café weiterzulesen, dachte ich wieder an die signierten Exemplare bei Hatchards. Das war nun allerdings schon ein paar Monate her, aber der Haufen war so riesig gewesen, die konnten doch unmöglich alle verkauft worden sein.

Also stellte ich das Buch zurück ins Regal und marschierte die Charing Cross Road hinunter, quer durch Soho bis nach Piccadilly zur schönen Buchhandlung Hatchards. Das Caravaggio-Buch fand ich gleich in der zweiten Etage in der Kunstbuchabteilung, aber im Regal, ohne Signierung. Der Ziegelsteinhaufen war verschwunden. Ich schleppte das Buch zur Kasse, mich langsam ärgernd, dass ich damals nicht gleich zugeschlagen hatte, und fragte einen freundlichen Herrn, ob es denn vielleicht auch noch eine signierte Fassung gebe.

Er schaute kurz nach und rief dann seine Kollegen im Erdgeschoss an, ob vielleicht im Schaufenster oder Eingangsbereich noch welche wären. »We had sooo many!«, sagte der freundliche Herr zu mir, während wir auf Antwort von unten warteten. Er selbst besitze auch ein Exem­plar, signiert. Ob er es schon gelesen habe? »No, not yet, but it is supposed to be very good!« Am Ende bekomme ich keine signierte Kopie mehr, alle verkauft!

Es ist also die unsignierte Kopie, die ich gerade zu Ende gelesen habe. Das Buch hangelt sich chronologisch durch Gemälde und Leben des Künstlers. Sein letztes Werk war das Martyrium der heiligen Ursula (heute in Neapel). Wie auf vielen seiner Bilder hat Caravaggio auch auf diesem einen Cameo-Auftritt. Er hat das Bild 1610 in Neapel gemalt und ist noch im selben Jahr gestorben. Kurz bevor er mit der Arbeit begann, wurde er Opfer eines Racheakts, vier Schergen lauerten ihm vor einer Bar in Neapel auf und schlitzten ihm ein Schandmal ins Gesicht.

Auf diesem letzten Gemälde, eben diesem Ursulamartyrium, ist er mit halbgeöffnetem Mund zu sehen, in dieser kleinen Ansammlung von Leuten, die um Ursula herum stehen. Er sieht aus wie das Leiden selbst, beinah zusammenbrechend, mit einem letzten Seufzer auf den Lippen.

Mir fällt kein anderer Maler ein, der sich so häufig in seinen eigenen Bildern dargestellt hat, nicht in Portraits à la Rembrandt oder Dürer, sondern in der Menge, im Hintergrund, als Beobachter. Ein pindarischer Sprung lässt mich an Alfred Hitchcock denken, der in seinen Filmen ebenfalls immer kurz mal selbst auftaucht. Das sind aber vergleichs­weise kleine Späße, Gimmicks, die Hitchcocks Spitzbübigkeit unterstreichen.

Die Auftritte des Michelangelo Merisi sind Statements, Seelenzustands­dokumentationen ohne jeden Schalk. Ganz besonders in seinem spektakulärsten und prominentesten, dem Portrait als Goliath, dessen abgeschnittenen Gigantenschädel der kleine David quasi in die Kamera hält. Aus dem Hals des abgetrennten Goliathkopfes rinnt noch Blut, etwas Leben scheint in diesem Kopf noch zu sein, doch wird es jeden Moment verlöschen. Vor diesem Cameo-Gruselauftritt sieht man Caravaggio eher unbeteiligt in der Menge stehen und zuschauen, wie im berühmten Martyrium des heiligen Matthäus oder in einer Gruppe Musizierender aus seiner Frühphase in Rom.

Nach diesem Lektürebrocken war ich dann doch erleichtert, ein Exem­plar ohne Signierung gekauft zu haben, denn das wären ja wieder drei Wörter mehr zu lesen gewesen: ›Andrew‹, ›Graham‹ und ›Dixon‹. Falls der Autor nicht noch was reingeschrieben hat wie »Love«, »All the best« oder »Wish you a happy reading«.
 

3 Reaktionen zu “Hitchcock und Caravaggio”

  1. Hermann Grätz, Mehltheuer

    Also ich weiß nicht, man kann doch nicht das Buch von jemand anderem beenden, man kann höchstens die Lektüre beenden, oder?

  2. Klaus

    Ein Buch OHNE Signatur des Autors lesen, das geht ja nun g a r n i c h t !
    Oder?
    Seltsam, dass manche „Leute“ erst etwas ernst nehmen, wenn der Künschtler seinen Kaiser-Wilhelm rein oder darunter geschrieben hat. Bin selbst in diesem Kunstgewerbe tätig und habe natürlich für „meinen“ Künstler zig Fotos, LPs, CDs und ähnliches signiert. Die Leute freut’s. Ob’s wirklich „echt“ ist, da kräht doch kein Hahn nach und: es tut ja auch nix zur Sache. Wenn die Idioten nicht das Werk wollen, sondern ein „hand- (nicht etwa fuß-)signiertes“ Exemplar, dann gibt’s man ihnen eben.

  3. matze

    das mit den cameo-auftritten in kunstwerken scheint in indien aber recht normal zu sein: http://www.faz.net/artikel/C30997/indische-kunst-in-zuerich-polomannschaften-auf-reiskoernern-30440640.html

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