100-Seiten-Bücher – Teil 5
Markus Werner: »Zündels Abgang« (1984)

Berlin, 19. Juni 2011, 19:14 | von Josik

Genau in dem Moment, als im ICE 1605 die Zugführerin per Durchsage von »dem nächsten Unterwegshalt« sprach, wusste ich nicht mehr, ob ich nun über die Oxymoronhaftigkeit des Wortes »Unterwegshalt« nachsinnen soll oder über den schon im Buch in Anführungszeichen gesetzten »Schlankheitsabgrund«, bei dem ich gerade angelangt war. Denn man möchte eigentlich alles, schon den ersten Satz, mit dem Markus Werner in die Geschichte der Weltliteratur eintritt und den so natürlich nur ein Schweizer schreiben konnte, nämlich:

Schöne Kindheit im Warenhaus.

– alles also an dieser Herrlichkeit von Debüt, in dem ein sehr sympa­thischer Misanthrop, der wie alle normalen Menschen als Lehrer arbeitet, verduftet, möchte man am liebsten anstaunen.

Und wenn man etwas nicht versteht und noch kein Google hat, wie zum Beispiel in den 80ern, dann ruft man einfach den Autor an. Eine Freundin des Instituts hat das kurz nach Erscheinen von »Zündels Abgang« getan, als Markus Werner noch nicht berühmt war und sein Name noch im Telefonbuch stand. Sie hat ihn gefragt, wer denn eigentlich »der unstete Geist eines französischen Dichters« ist, von dem es auf Seite 69 heißt, er habe im weltberühmten Portofino seine Ruhe gefunden. Herr Werner gab freundlichst und bereitwilligst Auskunft, dass es sich hier um Guy de Maupassant handle, der in Portofino »Bel Ami« geschrieben habe.

An das zweite literarische Rätsel, um dessen Auflösung sie ihn ebenfalls gebeten hat, konnte er sich leider partout nicht erinnern. Um die lustige Titelpersiflage »Ahndung und Gegenschlag« handelte es sich jedenfalls nicht und auch nicht um eine der Fragen und Antworten in dem grandiosen Zündholzspiel: Man stellt eine Frage und wenn die Antwort »richtig oder wenigstens gut« ist, gibt’s ein Zündholz; wer zuerst fünf Zündhölzer hat, hat gewonnen. Der vorletzte Satz, der von Zündel überliefert ist, lautet: »Geh jetzt bitte, ich stehe unter Sprechverbot«.

Länge des Buches: ca. 189.000 Zeichen. – Ausgaben:

Markus Werner: Zündels Abgang. Roman. Salzburg; Wien: Residenz Verlag 1984. S. 3–138. (= 136 Textseiten)

Markus Werner: Zündels Abgang. Roman. München: dtv 1988. S. 3–116. (= 114 Textseiten)

(Einführung ins 100-Seiten-Projekt hier. Übersicht über alle Bände hier.)

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