Lost: 5. Staffel, 1. und 2. Folge

London, 30. Januar 2009, 12:00 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »Because You Left« / »The Lie«
Episode Number: 5.01+02 (#86+#87)
First Aired: January 21, 2009 (Wednesday)
Dt. Titel: »Weil du gegangen bist« / »Die Lüge« (EA 9./16. 4. 2009)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Also doch. Jetzt wird aus der magisch-realistischen Superserie ziemlicher Hardcore-SciFi-Zeitreise-Erklärungskram.

»Previously on Lost …«, heißt es wieder, endlich wieder, nach wiederum 8 Monaten Sendepause. Dique und ich haben hier schon alle Folgen der 4. Staffel gerecappt und werden das auch mit Staffel 5 tun, »we’ll be your constant«, wie es in der Lostpedia heißt.

Und mit »The Constant« sind wir gleich beim Thema, denn seit der gleichnamigen Folge (4.05) geht die Angst um, dass sich das ganze herrliche »Lost« in nichts als SciFi-Klischees auflöst.

Die ersten 3 Staffeln waren durch die Flashbacks ein Meisterwerk der differenzierten Darstellung von Figurenpsychologien. In Staf­fel 4 sind die Autoren dann eschatologisch geworden, alles läuft nun auf ein bestimmtes Ende, höchstwahrscheinlich auf irgendeine dann doch noch knapp abgewendete Apokalypse hinaus. Entweder soll nur die Insel vernichtet werden oder, dem Impetus der letzten Folgen nach zu urteilen, gleich der ganze Planet.

Die ersten 3 Folgen der 4. Staffel waren an Ideenphylle und Rasanz nicht zu überbieten. Auch der erzählerische Twist, die Einführung von Flashforwards, war eigentlich eine spannende Idee, auch weil »Lost« jetzt nicht auf eine beliebige Verlängerung hin ausgelegt ist wie so viele andere Serien.

Am Set der Dharma-Filme

Die erste Folge dieses initialen Doppelfolgenschlags beginnt scheinbar in einer Normalweltszenerie: Ehebett, Kind schreit und kriegt die Flasche, eine LP wird aufgelegt, jemand rasiert sich und geht zur Arbeit – aber wir sind dann doch nicht in einem Condo an der Ostküste, sondern auf der Insel – der promovierte Dharma-Mensch Pierre Chang, den wir aus den Dharma-Orientierungsvideos schon unter anderen Namen kennen, dreht hier eben diese Videos, diesmal das für die Arrow-Station. Die Szene spielt also in der Vergangenheit.

Chang wird dann schnell von einem Vorarbeiter zur Orchid-Station geholt. Dort gibt es nämlich eine undurchbohrbare Wand, obwohl die Schallmessungen zeigen, dass sich dahinter ein Raum befindet, in dem so ein Drehrad angebracht ist (an dem Ben dann auch drehen wird, um die Insel zu moven). Chang befiehlt, die Wand ganz zu lassen, da sich dahinter ein Energiepolster ungekannten Ausmaßes befinde. Alles klar, okay.

Jedenfalls sei es damit endlich möglich, die Zeit zu manipulieren, erklärt er bierernst, und der Vorarbeiter erwiedert dankbarerweise: »Ok, so, what, we’re gonna go back and kill Hitler?« Das ist doch mal eine gute Antwort, aber Chang bleibt ernst und erzählt was von Regeln, die nicht gebrochen werden können. Zeitreisen sind also eine Energiefrage, das ist die banale Quintessenz, und mal sehen, was dieser schlecht ausgedachte Proto-SciFi-Scheiß der Serie noch antun wird.

Faraday war übrigens undercover mit dabei, hatte sich aber vor Chang (und auch erst vor uns) den Helm ins Gesicht gezogen. Und genau dieses »Lost«-Stilmittel beginnt wegen massivem Missbrauchs langsam zu nerven: Viel zu oft werden uns Personen präsentiert, die nur von hinten zu sehen oder an den Schultern abgeschnitten sind, jedenfalls so, dass wir erst mal nicht erkennen, wer das ist. Und dann müssen wir diesem Inkognito folgen, bis uns nach einer gefühlten Ewigkeit endlich das Gesicht präsentiert wird.

Das war z. B. bei Michaels Rückkehr als »Kevin Johnson« so, das war eben bei Faraday in der Orchid so, das war beim Auftakt dieser Folge mit Dr. Chang so, und auch die 2. Folge wird so beginnen (da ist es Chopper-Frank, der auf Pennys Boot Bier holen geht). Die schöpferische Kraft der Autoren geht wohl zur Neige, wenn anders keine Spannung mehr erzeugt werden kann.

Die weggebeamte Insel

Nachdem Ben zum Ende von Staffel 4 die Insel weggebeamt (»moved«) hat, wird sie offenbar unkontrolliert auf der Zeitachse hin- und hergeschmissen. Die auf dem Eiland verbliebenen Losties bleiben dabei so alt wie sie sind, reisen aber mit, und entdecken so den noch intakten Hatch. (Wer jetzt zeitreist, die Losties oder die Insel, wird allerdings offengehalten.) Etwas später klopft Faraday an die Hatch-Haustür und wird von dem früheren Desmond im Raumanzug mit der Knarre bedroht. (Vor dem nächsten Flash schafft er es noch, ihm zu sagen: »I need you to go there [= Oxford University] and find my mother. Her name is –«.)

Überhaupt scheint statt Ben jetzt Faraday der Hauptgeheimnis­träger zu sein, denn er hat eine Ahnung, was mit der zeitreisenden Insel vor sich geht. Nur hält er damit traditionell hinterm Berg und muss erst von Sawyer gewatscht werden, um etwas Informationsmaterial herauszurücken.

Locke, kaum von Ben zum Anführer der Others erkoren, ist durch die Zeitflashs (ganz klischeehaft ein weißes Wegbeam-Licht) schnell wieder auf sich allein gestellt. In der Inselvergangenheit beobachtet er, wie das Drogenschmugglerflugzeug mit den Virgin-Mary-Figuren, das er und Boone in 1.19 entdeckt hatten, in den entsprechenden Baum kracht. Er will nachsehen, ob noch jemand lebt, als er plötzlich aus der Ferne angeschossen wird.

Der Schütze ist der damals noch lebende Ethan, der ja ursprünglich von Ben als Others-IM bei den Losties installiert worden war, bevor ihm Charlie in Folge 1.15 den Garaus machte. Locke entkommt, how convenient, durch einen weiteren plötzlichen Zeit-Flash. Des Nachts kommt dann der ewig gleich alt aussehende Richard (vgl. 4.03, 4.11) mit einem Erste-Hilfe-Koffer. Es entspinnt sich einer dieser bescheuerten Zeitreise-Dialoge:

Locke: How did you know there was a bullet in my leg, Richard?
Richard: Because you told me there was, John.
Locke: No, no, no, I didn’t.
Richard: Well, you will.

Ist das noch schlecht? Oder schon ultraschlecht? Jedenfalls vermittelt Richard auch ein paar Essentials: Die einzige Möglichkeit, die Insel zu retten, ist die Rückkehr der Oceanic Six. Und erreicht werden soll das mit einem unkonventionellen Mittel: »You’re gonna have to die, John.« (Okay.)

Außerhalb der Insel

Die Parole »Zurück zur Insel!« hatte Jack schon im allerersten Flashforward am Ende der 3. Staffel ausgegeben. Und darauf wird es wohl in den nächsten Folgen hinauslaufen, was die Handlung außerhalb der Insel angeht. Daher wollen Ben und Jack den gramgebeugten Hurley aus der Irrenanstalt holen, eine versteckte Hommage an das »A-Team« (dort wurde Murdock, der Präriepilot, zu Beginn jeder Folge immer aus der Anstalt gelotst). Aber dann ist Hurley schon mit Sayid unterwegs, Sayid fraggt ein paar Bösewichter, allerdings wird Hurley dann für den Mörder gehalten und zur Fahndung ausgeschrieben.

Was sonst noch? Aaron spricht! Das »ödeste TV-Serien-Kind ever« (Dique in 4.10) ist also doch keine Puppe!!! Ein Anwalt, der für eine noch unbekannte Macht tätig ist, will DNA-Proben von Kate und Aaron einfordern, woraufhin Kate sich mit dem Jungen in die Spur macht. Und die ach-so-toughe Sun trifft noch mal Widmore und möchte mit ihm einem gemeinsamen Interesse nachgehen, nämlich »to kill Benjamin Linus«.

Und noch schnell Folge 2 …

… damit wir nicht den narrativen Anschluss verlieren: Neil tritt auf, einer der bisher im Hintergrund gebliebenen Oceanic-815-Survivors – und natürlich war er in Staffel 2 nur eingeführt worden, damit er jetzt, ohne Konsequenzen für die Handlung, schön effektvoll sterben kann (wie Doc Arzt in 1.24, Nikki und Paulo in 2.14 usw.). Der arme Kerl wird von einem der brennenden Pfeile gekillt, die aus heiterem Himmel über die am Strand weilenden Losties regnen. Die Hauptcharaktere können fliehen, Juliet und Sawyer werden aber später von drei unbekannten Typen gestellt, und der eine herrscht sie mit britischem Akzent an: »What are you doing on our island!« Die Szene findet eventuell in der Vergangenheit statt. Locke, der sich im selben Timeslot befindet, rettet die beiden dann übrigens.

Nachdem die Insel verschwunden und die Heli-Besatzung sich in Pennys Boot gerettet hat (in 4.13/4.14), kommt es dort zur großen Verschwörung der Oceanic Six. Sie beschließen zu lügen. Das ist besonders Hurley unangenehm, später wird er seiner Mutter alles beichten, und zwar in einem Rundown aller »Lost«-Staffeln, der so herrlich runtererzählt wird, dass er hier ganz zitiert werden muss:

Okay, see, we did crash, but it was on this crazy island. And we waited for rescue, and there wasn’t any rescue. And there was a smoke monster, and then there were other people on the island. We called them the Others, and they started attacking us. And we found some hatches, and there was a button you had to push every 108 minutes or, well, I was never really clear on that. But the Others didn’t have anything to do with the hatches. That was the Dharma Initiative. They’re all dead, the Others killed them, and now they’re trying to kill us. And then we teamed up with the Others because some worse people were coming on a freighter. Desmond’s girlfriend’s father sent them to kill us. So we stole their helicopter and we flew it to their freighter, but it blew up. And we couldn’t go back to the island because it disappeared, so then we crashed into the ocean, and we floated there for a while until a boat came and picked us up. And by then there were six of us. That part was true. … But the rest of the people who were on the plane? They’re still on that island.

Super, »Lost for Dummies« könnte man das nennen. Und seine Mom blickt ihren Gaga-Sohn zwar etwas besorgt an, sagt aber: »I believe you. I don’t understand you, but I believe you.« Immerhin. Wobei zum Beispiel Critik en séries vermutet, dass sie nicht dichthalten wird: »Elle a la tête d’une espionne ou une traître potentielle.« Und ach ja, vor diesem Monolog darf Hurley noch den delirierenden Sayid durch die Gegend fahren und hat dabei eine Ana-Lucia-Halluzination. Die von Sayid Michael gekillte Cop-Medusa belehrt ihn ein bisschen und richtet ihm schöne Grüße von Libby aus.

Was noch? Sun und Kate treffen sich in einem Hotelzimmer. Sun erinnert Kate noch mal daran, dass sie schuld ist an Jins Tod, weil sie ihn damals nicht wie versprochen vom Frachter in den Heli geholt hat. Aber egal, sagt Sun, war vielleicht besser so, denn sonst wären sie vielleicht alle draufgegangen »instead of just my husband«. Das ist mit leichter Bitterkeit formuliert. Subtext oder nicht? Wir werden sehen.

Und dann noch Ben. Er spült Jacks Pillen in die Kanalisation und ermahnt ihn dann: »Find yourself a suitcase. If there’s anything in this life you want, pack it in there. Because you’re never coming back.« Um Lockes wahrscheinlich nur temporär toten Körper sicher zu verwahren, bringt ihn Ben zu einer weißblonden Fleischerin namens Jill. Dann will er Hurley dem Zugriff der Polizei entziehen, der ist aber gewarnt und gibt lieber zu, ein ziemlicher Mörder zu sein, woraufhin er abgeführt wird, aus Bens Machtbereich heraus.

Das scheint aber nicht so gut zu sein, weil Ben nur noch 70 Stun­den hat, um die Oceanic Six zu versammeln. Das erfährt er von dieser Madame Hawking (gute Güte, wieder eine dieser billigen Namensanspielungen, die sicher irgendwas bedeuten soll), bei der Desmond in 3.08 einen Ring gekauft hat. Falls es Ben nicht gelingt, dann: »God help us all.«

Soweit der Recap zu den Folgen 1 und 2, und wenn das so weiter geht mit dem klischierten Timetravelling, dann braucht »Lost« tatsäch­lich Hilfe von oben, von ganz oben, hehe.

3 Reaktionen zu “Lost: 5. Staffel, 1. und 2. Folge”

  1. Andreas

    Kleine Korrektur: Ana-Lucia wurde/wird nicht von Sayid getötet, sondern von Michael.

    Ansonsten stimme ich zu: „die“ könnten das Ding noch komplett in den Sand setzen. Zeitreisen sind immer Logik-Killer. Immer. Das geht nie „gut“ aus… :-(

  2. Paco

    thx, andreas, hab es oben geändert. der link ist auch bestens, »keeping track of michael’s annoyingness«, hehe.

  3. Severin

    Danke dass ihr so eine Lost Coverage macht. Ich bin auch eher skeptisch wie sich der Rest der Season entwickeln wird, diese Zeitherumreiserei geht mir jedenfalls gehörig auf die Nerven.

    Kennt jemand vielleicht ähnliche Seiten wie das oben angesprochene Critik en série. (vielleicht in deutsch oder englisch??)

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