Cloverfield!

Hamburg, 16. Februar 2008, 14:46 | von San Andreas

»I knew that if I went to the theater having never heard about this movie and saw that trailer I’d lose my mind.«

Besagter Trailer verfehlte seine Wirkung nicht. Im Vorprogramm zu »Transformers« tauchte er zum ersten Mal auf. Verwackelte Amateuraufnahmen, fremde Gesichter, eine Party. Plötzlich ein Erdstoß. Verwirrung. Eine Explosion in der Ferne. Hektik, Chaos. Ein Objekt fällt vom Himmel, stürzt krachend die Avenue entlang, kommt zu liegen. Es ist der Kopf der Freiheitsstatue. Das Bild reißt ab. Dann in kleiner Schrift der Code »1-18-08« sowie ein Name: J. J. Abrams.

Die Kino-Community spielte verrückt: Wo kam dieser Film her? Wieso wusste niemand davon? Und los ging die Schnitzeljagd. Ein T-Shirt-Aufdruck im Trailer führte zunächst zu einem japanischen Erfrischungsgetränk namens Slusho. Fotos auf der Seite www.1-18-08.com bargen Namen auf der Rückseite, zu denen komplette MySpace-Seiten aufgespürt wurden.

Auf einem der Bilder fand sich ein Rezept in japanischer Schrift, dessen obskurste Zutat – ›deep sea nectar‹ – per Babelfish und Google zum Konzern Tagruato führte, dem Slusho-Hersteller, der offenbar wegen weltweiter Tiefseebohrungen in der Kritik stand. Hatten die am Ende etwas aufgeweckt in der Tiefe des Ozeans …?

Man muss Berufs-Geheimniskrämer Abrams dankbar sein, dass er die Idee nicht zu einer zehnstaffeligen Serie ausgewalzt hat. Der Teaser und die Köder im Netz entfachten zumindest eine Euphorie, wie es der beste »Lost«-Cliffhanger nicht vermag. Freilich hatten die Info-Schnipsel nur peripher etwas mit dem Film zu tun – nichts konnte die Filmgemeinde darauf vorbereiten, was sie im Begriff war zu erleben.

»Amazing! It lives up to the hype.« (Empire Magazine)

Ja, tatsächlich. Die angesichts der sich überschlagenden Erwartungen recht wahrscheinliche Enttäuschung blieb aus. Es geschah stattdessen der seltene Fall einer Filmerfahrung, die einen mit dem Gefühl zurückließ, etwas wirklich Neues, genuin Neues gesehen zu haben.

Die Betonung liegt auf ›sehen‹. Seeing is believing, sagt man ja gerne, und die Devise findet in »Cloverfield« wohl ihre Vollendung. Mit dem Film hat der ›as real as can be‹-Anspruch des F/X-Kinos einen vorläufigen Höhepunkt erreicht.

Spielbergs »War of the Worlds« hatte vor drei Jahren diesbezüglich ein neues Kapitel aufgeschlagen – mit einer dreckigen, ungeschliffenen Optik, den Effekten gleichsam beiläufig im Hintergrund, nahtlos integriert.

Cloverfield kombiniert diesen Ansatz mit dem »Blair Witch«-Kniff der subjektiven Wackelkamera. Ein cleveres Manöver, denn die ungeschönte, erratische Ästhetik von Home Movies verweist in unserer visuellen Erfahrung auf ein Höchstmaß an Authentizität. Bilder so schlecht, dass sie unmöglich künstlich sein können.

Bei Onkel Heinzens Hochzeitsvideos wirkt diese Wahrhaftigkeit durchaus schmerzhaft, denn ohne ästhetische Distanz, ohne formale Stilisierung wird das Ereignis seines Zaubers beraubt – genau des Zaubers, den Onkel Heinz eigentlich festhalten wollte. Kein Montage-Rhythmus, kein Bildaufbau, nicht die Spur einer vernünftigen Mise-en-scène. Stattdessen unerbittliche Wirklichkeit.

Derselbe profanisierende Effekt ereilt das »Cloverfield«-Publikum, nur dass der ungeschliffene Boden der Tatsachen hier keine banale Realität, sondern ein wahnwitziges Monsterszenario darstellt. Das Ergebnis ist frappierend.

»An effective film, deploying its special effects well and never breaking the illusion that it is all happening as we see it.« (Roger Ebert)

Die Abwesenheit filmischer Konventionen reduziert den Zuschauer auf ein Kaninchen im Bannstrahl der Bilder, auf einen Spielball seiner Reflexe. Konditionierte Erwartungen gehen über Bord, zur Neu-Justage bleibt keine Gelegenheit, denn der Echtzeit-Malstrom reißt einen fort. One hell of a ride.

Wiewohl sich, sieht man New Yorker Wolkenkratzer in ultimativ dokumentarischem Augenschein in sich zusammenbrechen, automatisch auch beklemmendere Assoziationen einstellen. Die Tatsache, dass die mediale Berichterstattung uns den Terror immer öfter über die fahrigen Handy-Kamera-Clips von Passanten vermittelt, findet in »Cloverfield« einen Widerhall, der den Schrecken nicht eben mindert.

Dass der Film ansonsten thematisch nicht großartig über sich hinauswächst, ist leicht verziehen. Wie soll er auch. Das Konzept kappt zerebralen Ballast, reduziert die Filmerfahrung auf das nackte, unmittelbare Erleben. Liefert man sich dem aus, wird man mit einer sensorischen Achterbahnfahrt belohnt.

Ein guter Teil des deutschen Feuilletons hatte dazu keine Lust, mäkelte sauertöpfisch, gab sich intellektuell unterfordert, degradierte Kino-Begeisterte im Handstreich zu willfährigen Objekten cleverer Hype-Strategen und mahnte eine mangelnde emotionale Tiefe ebenso an wie das Fehlen inhaltlicher Originalität.

Doch in »Cloverfield« übersteigt die Form den Inhalt, knüpft die Filmwelt direkt an die Alltagserfahrung des Zuschauers an: subjektive, selektive, ungeordnete Wahrnehmung. Irgendwo ist das Kino pur; gilt doch gerade die Filmkunst als prädestiniert dafür, perzeptive Kanäle so zu bespielen, dass fast-reale Eindrücke möglich werden. Selten kam Fiktion dem Publikum so nahe.

Dass uns die Essenz des Kinos gerade aus einem Monstermovie heraus neu begegnet, der noch dazu das Vokabular der Leinwand links liegen lässt, hätten wir nicht erwartet. Kudos, Mr. Abrams.

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